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Zum Wohl der Stadt - Juden im mittelalterlichen Speyer (1)

Rüdiger Huzmann, Bischof von Speyer, war nicht nur ein Mann des Glaubens, sondern auch der Wirtschaft. Ein treuer Parteigänger Heinrichs IV. im Investiturstreit, hatte er so seine Schwierigkeiten mit dem Papst, doch trotz Bann und Klosterhaft konnte er sich im kaisertreuen Speyer halten. 1084 ging der Bischof unter die Wirtschaftsförderer. Er lud die in Mainz verfolgten Juden ein, sich in Speyer niederzulassen und garantierte ihnen seinen Schutz und weitgehende Rechte. Er wolle damit, so seine Aussage, das Ansehen der Stadt um ein Vielfaches vergrößern. Speyer lag zwar verkehrsgünstig am Rhein und an einer alten Römerstraße, der große Aufschwung kam aber erst mit der Förderung durch die Salier im 11. Jahrhundert.

Knoblauchknolle

Die drei rheinischen Judengemeinden von Speyer, Mainz und Worms wurden nach den hebräischen Anfangsbuchstaben der Stadtnamen als Schum-Gemeinden bezeichnet. Schum ist auch der hebräische Ausdruck für Knoblauch, daher war Knoblauch das Symbol für die drei Schum-Gemeinden.

Das beste Gesetz von allen

Der Bischof wies den zuziehenden Juden Wohnraum aus seinem Besitz zu. Das Viertel wurde von einer Mauer umgeben, um die Juden vor den „Unverschämtheiten des Pöbels“ zu schützen, so der Bischof. Es war eine Schutzmaßnahme nach den Unruhen in Mainz und das wurde von den Juden auch so gesehen. In einer jüdischen Quelle heißt es, der Bischof „versprach unsere Häuser mit Mauern und Toren zu umgeben und mit Riegeln, uns zu bergen vor den Drängern, um uns als Festung zu dienen.“ Aus Kirchengut erhielten die Juden einen Platz, um ihre Toten zu bestatten. Vermutlich waren auch schon vor des Bischofs Initiative Juden in Speyer ansässig, so wie wohl in allen Rheinstädten. Bischof Huzmann gewährte ihnen weitgehende Rechte, eine eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit, freien Handel und die Erlaubnis Geldgeschäfte zu tätigen. Juden durften christliche Dienstboten und Ammen beschäftigen, Fleisch nach ihrer Vorschrift schlachten und die ihnen verbotenen Teile an Christen verkaufen. Auch wenn der Bischof sich rühmte, in keiner anderen Stadt gäbe es ein besseres Gesetz für die Juden, es war guter Standard. Um sicherzugehen, ließen die Speyrer Juden sich 1090 noch einen Schutzbrief von Kaiser Heinrich IV. ausstellen.

Überrest Synagoge Speyer
Rekonstruktion Synagoge Speyer
Rekonstruktion Innenraum Synagoge Speyer

Die Synagoge nahe des Doms wurde 1104 geweiht, 1250 um einen Frauenbetraum erweitert. Die Überreste der Synagoge und des Badehauses können besichtigt werden. Rechts: Rekonstruktion der Synagoge und des Innenraums. Es gibt auch ein kleines Museum. Museum SchPIRA (= Speyer).

Luxuswaren und Geld

Juden spielten eine wichtige Rolle im Fernhandel, Jude war im frühen Mittelalter praktisch ein Synonym für Händler. Aufgrund des hohen Stellenwertes der Schriftkultur im Judentum und enger Beziehungen zum Mittelmeerraum bot sich der Beruf des Händlers für viele Juden geradezu an (einmal auf Reisen, übernahmen sie auch diplomatische Aufträge). Neben Warengeschäften wurden auch Geldgeschäfte abgewickelt, doch erst im 13. Jahrhundert wurde die Geldleihe der wichtigste Erwerbszweig für Juden nördlich der Alpen. Die mittelalterliche Gesellschaft hatte ein großes Kreditbedürfnis: flüssiges Kapital war knapp, Handel und Handwerk benötigten kurzfristige Kredite, um Liquiditätsengpässe zu überbrücken, Adel und Klerus brauchten Geld, um ihr Konsum- und Repräsentationsbedürfnis zu befriedigen.

Verfolgung und Schutz

Lange konnten die Speyrer Juden nicht in Frieden leben. Am 27. November 1095 rief Papst Urban II. in Clermont in einer dramatischen Rede die Christen dazu auf, die heiligen Stätten von der Herrschaft der Muslime zu befreien. Manch einer wollte mit dem Beseitigen Andersgläubiger gleich vor Ort und nicht erst in Jerusalem beginnen. Am 3. Mai 1096 wurden die Speyrer Juden von marodierenden Kreuzfahrern und Teilen der Stadtbevölkerung überfallen. Im Vergleich zu anderen Städten ging das Morden noch glimpflich ab. Trotzdem musste die jüdische Gemeinde elf Tote beklagen. In den benachbarten Gemeinden waren es einige hundert. Französische Glaubensbrüder hatten die rheinischen Gemeinden gewarnt, dass die Stimmung unter den Kreuzfahrern gefährlich wurde. In Speyer sollten die Juden beim Gottesdienst in der Synagoge überfallen werden. Doch sie waren von Christen gewarnt worden, hatten den Gottesdienst vorgezogen und den Bischof (jetzt Johann) um Hilfe gebeten. Der schickte eine bewaffnete Schar zu Hilfe und brachte die Juden in den Schutz seiner Burg. Auch wenn einige Beteiligte verhaftet und bestraft wurden, dauerte es noch eine Weile, bis Ruhe eingekehrt war. Die Kreuzzugsbewegung war ein Massenphänomen und hatte durchaus hysterische Züge. Die Gründe für die Gewaltausbrüche gegen Juden sind im Einzelnen nicht mehr zu ermitteln. Bereicherung, Machtpolitik, Mordlust - es gab wohl eine Vielzahl von Gründen.

Zeugen der Kirche

Die Stellung der Kirche zu den Juden war ambivalent. Schon Augustinus hatte im 5. Jahrhundert formuliert, Juden sollten von den Christen als „Zeugen der Kirche“ toleriert werden, sofern sie sich an bestimmte Regeln hielten. Niemals sollten Juden Herren über Christen sein. (Juden beschäftigten zwar christliche Dienstboten, der Besitz christlicher Sklaven war ihnen aber verboten.) 598 hatte Papst Gregor I. in der Bulle Sicut iudaeis bestimmt, dass den Juden kein Leid geschehen solle, da sie Zeugnis ablegten für die Wahrheit des Christentums und an Christi Heilswerk erinnerten. Gut behandeln musste man Juden deshalb nicht, ein minderer Status zeigte ja die Erfüllung biblischer Prophetien. Vorschriften, die darauf abzielten, Juden und Christen zu trennen, wie die Kennzeichnung der Kleidung, Ausschluss aus der Öffentlichkeit an bestimmten Feiertagen, nahmen im Verlauf des Mittelalters zu. Und einige Kirchenmänner waren der Ansicht, es genüge, nur einige Juden als Zeugen am Leben zu lassen.

Eine blühende Gemeinde

In Speyer entstand wohl schon vor dem Kreuzzugspogrom eine zweite jüdische Siedlung in der Innenstadt. Christen und Juden lebten hier nicht separiert. Die Synagoge und das Ritualbad wurden von denselben Handwerkern erbaut, die auch am nahen Dom arbeiteten. Die Gemeinde erlebte ihre wirtschaftliche und intellektuelle Blütezeit. Wie Mainz und Worms unterhielt auch Speyer bedeutende Talmudschulen, in denen jüdische Gelehrte und Rabbiner ausgebildet wurden. Die Rabbiner der rheinischen Gemeinden waren bis ins 13. Jahrhundert die religiöse Autorität für die deutschen Juden. An sie wandte man sich bei strittigen Fragen. Ihre Antworten waren verbindlich.

Zu "Juden im mittelalterlichen Speyer" Teil 2  geht es hier.

Auch interessant: Die Vertreibung der Augsburger Juden 1438.

Literatur

Germania Judaica, Bd. I, Von den ältesten Zeiten bis 1238, Tübingen 1963

Werner Transier, Speyer: Die jüdische Gemeinde im Mittelalter, in: Europas Juden im Mittelalter. Beiträge des internationalen Symposiums in Speyer vom 20.-25. Oktober 2000, hrsg. von Christoph Cluse, Trier 2004, S. 420 - 432