Otto III. und Heinrich II.

Visionär und Pragmatiker?

Otto III. zählt zu den interessanteren Persönlichkeiten des Mittelalters. Mit drei Jahren bereits König, mit 16 Kaiser, starb er bereits mit 22. Eine kurze, aber heftige Karriere. War Otto ein Visionär, der sich nicht um Konventionen scherte? Psychisch labil, von selbstzerstörerischer Religiosität? Eigenschaften, die ihm Zeitgenossen und spätere Historiker zugeschrieben haben. Ihm folgte ein Mann nach, der für viele Zeitgenossen ein Kontrastprogramm zu seinem jungen Vorgänger darstellte. Heinrich II. hatte ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein, aber mit hochfliegenden Plänen nicht viel am Hut. Es ist noch nicht lange her, da sah man in Heinrich einen Vertreter nationaler Interessenpolitik. Die heutige Forschung beurteilt den letzten Ottonen differenzierter.

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Auszug aus Teil 1: Ein Kaiser mit Visionen oder Der Unvollendete

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Auf der Suche nach Karl dem Großen

 

Nach zweihundert Jahren war in Vergessenheit geraten, wo genau sich das Karlsgrab befand. Als seine Begleiter den Ort ausfindig gemacht hatten, ließ der Kaiser es heimlich öffnen. Diese Graböffnung war auch im Jahr 1000 eine unerlaubte Grenzüberschreitung. Man störte die Totenruhe nicht. Der Merseburger Chronist Thietmar berichtet, wie er bei der Bestattung seiner Schwägerin wissentlich das Grab eines Mitbruders schändete. Als Folge dieses Vergehens wurde er schwer krank und musste zeitlebens „zitternd diese Schuld beklagen“. Aber den Kaiser schienen solche Vorstellungen nicht zu stören. Mit nur wenigen Begleitern, darunter mindestens ein Bischof, untersuchte er das Grab. Vorher war drei Tage lang gefastet worden. Zu unserem Glück existiert ein Bericht von einem der Teilnehmer an dieser Exhumierung. Nachdem man die Decke aus Kalk und Marmor durchbrochen hatte, fand man den Leichnam: Karl lag nicht, wie sonst die Toten, sondern er saß, als lebte er, und hielt in seinen Händen, die in Handschuhen steckten, ein Zepter. Die Fingernägel hatten sich durch die Handschuhe gebohrt und schauten aus ihnen heraus. Der Leichnam war in gutem Zustand, es roch allerdings sehr stark (odorem permaximum). Die Eindringlinge erwiesen dem Toten auf Knien ihre Referenz, der Kaiser selbst kleidete ihn mit weißen Gewändern neu ein. Er beschnitt dem Toten die Nägel, ersetzte die bereits verweste Nasenspitze durch Gold, zog abschließend einen Zahn, nahm die abgeschnittenen Nägel und den Zahn an sich und ließ den Zugang wieder vermauern.

Was sollte das? Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass Otto mit der Graböffnung eine Erhebung Karls zum Heiligen vorbereiten wollte. Dazu gehörte standardmäßig das Finden des vergessenen Grabes (meist auf einen dezenten Hinweis aus dem Jenseits hin) sowie die Heimlichtuerei. Denn der Leichnam eines Heiligen musste bestimmte Anforderungen erfüllen: Er sollte möglichst unverwest sein und im besten Fall auch noch angenehm riechen. Da man vorher nicht wissen konnte, in welchem Zustand sich der Leichnam präsentierte, ging man diskret vor. Auch die Entnahme von Nägeln und Zahn als reliquienartigen Gegenständen macht dann Sinn. Zu dieser Zeit gab es noch keinen geregelten Heiligsprechungsprozess. Nicht einmal die Zustimmung des Papstes war Voraussetzung für die Etablierung eines Heiligenkultes. Der sicherste Weg zur Ehre der Altäre war immer noch, als Märtyrer gestorben zu sein. Denn dadurch hatte man den gewaltsamen Kreuzestod Christi quasi mitvollzogen. Diese Ehre war Karl dem Großen zwar nicht zuteilgeworden, aber er hatte keine Mühe gescheut, den Sachsen das Christentum nahezubringen. Ottos früher Tod machte die Pläne, einen Heiligenkult um Karl als Apostel der Sachsen zu begründen, zunichte. Übrig blieb von der gut gemeinten Tat nur eine Sünde des jungen Kaisers. Karl der Große wurde übrigens 1165 auf Betreiben Friedrich Barbarossas doch noch heiliggesprochen (durch einen Gegenpapst).

Nur knapp sechs Monate hielt sich Otto III. in „heimatlichem Gebiet“ auf. Er hielt einige Synoden ab, die sich mit der Wiedererrichtung Merseburgs beschäftigten, ließ das Grab Karls des Großen öffnen, besuchte wahrscheinlich das Grab seiner Großmutter und traf sich vielleicht mit dem burgundischen König. Von glänzend inszenierten Hoftagen, intensiven Beratungen, dem Abarbeiten liegen gebliebener Dinge ist während der ganzen Zeit nicht die Rede. Offensichtlich fand nichts davon statt und niemand nahm daran Anstoß. Man hatte sich an einen dem Alltag entrückten Kaiser gewöhnt und kam auch ohne seine Präsenz ganz gut zurecht. Das ist erstaunlich für eine Zeit, in der Herrschaft in erster Linie durch persönliche Anwesenheit ausgeübt wurde.

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Auszug aus Teil 2: Näher, mein Gott zu Dir oder Ein Bayer setzt sich durch

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Der König der Konflikte

Heinrich II. sah sich nicht in einem Gegensatz zu Otto III. – im Gegenteil! Ständig betonte er die Kontinuität zu seinem Vetter, die familiäre Nähe, die Vertrautheit seit Kindertagen. Nur: Heinrich verhielt sich anders! Als Kind war er in die Hildesheimer Domschule zur Erziehung gegeben worden. Wegen der Aufstände seines Vaters hatte Otto II. ihn wahrscheinlich für eine geistliche Laufbahn vorgesehen. Er erhielt eine hervorragende Ausbildung in Theologie, kanonischem Recht, Latein, Rhetorik und Grammatik, also in (fast) allem, was die damalige Wissenschaft zu bieten hatte. Mit zwölf Jahren kam er in die Obhut des Bischofs von Regensburg, der ein eifriger Anhänger des Reformmönchtums war.

Noch stärker als seine Vorgänger sah sich Heinrich als Verwalter Gottes in einer persönlichen Verantwortung. Gott hatte ihm sein Volk anvertraut und diesem mussten die Gebote Gottes nahe gebracht werden. Ganz im Sinne des Römerbriefes von Paulus versündigte sich jeder, der sich dem König widersetzte, gegen Gott: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Ordnung […]“. Ganz neu war das alles nicht. Auch die drei Ottos vor Heinrich sahen sich als Sachwalter Gottes auf Erden, mit einem direkten Draht zum Allmächtigen. Aber Heinrich, theologisch gebildet, sozialisiert als Herzog von Bayern mit nahezu unbeschränkter Machtfülle, zog daraus andere Konsequenzen als seine Vorgänger. Die geltenden Regeln adliger Konfliktführung, die vor allem auf Kompromiss und Gesichtswahrung beruhten, wurden von Heinrich weniger beachtet. Wer sich gegen ihn erhob, erhob sich gegen Gott. Kein Wunder, dass er zum „König der Konflikte“ (so bezeichnet ihn der Heinrich-Experte Stefan Weinfurter) wurde. Der Missionsbischof Brun von Querfurt benannte das Problem in einem Brief an den König: „Sei auf der Hut, o König, wenn du immer alles mit Gewalt machen willst, niemals aber mit Barmherzigkeit.“

Außerdem hatte Heinrich ein gewisses Anspruchsdenken. Hatte nicht seine Linie seit Otto dem Großen ebenfalls ein Anrecht auf den Königsthron? Der frühe Tod der beiden letzten Ottonen – war das nicht als göttliches Zeichen zu sehen? Heinrich fühlte sich auserwählt und er war entschlossen, seine Herrschaft im ganzen Reich durchzusetzen, ganz so wie bereits in Bayern. Also suchte er regelmäßig alle Herzogtümer auf. Heinrich war unermüdlich unterwegs. Seine Vorgänger hatten sich hauptsächlich auf ihr Kerngebiet Sachsen und Franken konzentriert, Bayern und Schwaben hatten sie nur zu besonderen Gelegenheiten betreten. Zum ersten Mal war der König jetzt im ganzen Reich präsent. Das Reich, bisher eher ein lockerer Zusammenschluss verschiedener Stammesverbände, wurde durch Heinrichs Rundreisen geschlossener. Seine Gegner hofften vielleicht, der kränkliche König wäre den Anstrengungen nicht lange gewachsen, doch Heinrich erwies sich als außerordentlich zäh.

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