Ludwig der Fromme und Heinrich I.

Herrschaftskonzepte

Ludwig der Fromme trat ein schweres Erbe an. Der Sohn Karls des Großen musste das von seinem Vater zusammeneroberte Reich konsolidieren. Doch die Zeiten waren nicht danach. Angriffe von außen und der Verzicht auf Eroberungen schufen ein Gefühl der Bedrohung und Unzufriedenheit. Und dann erließ Ludwig auch noch eine Nachfolgeregelung nach der anderen.

100 Jahre nach Ludwig war das karolingische Imperium in mehrere Teile zerfallen. Im Osten übernahm Heinrich die Herrschaft. Der erste Ottone auf dem Thron. Heinrich musste vorsichtig agieren, um den mächtigen Adel nicht zu verprellen. Er schloss Freundschaftsbündnisse mit den Mächtigen. Und war erfolgreich. Größtes außenpolitisches Problem: Die Ungarn.

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Auszug aus: Ludwig der Fromme - Richtig vererben

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Die Absetzung eines Kaisers

Potentielle Erben sind im Allgemeinen nicht begeistert, wenn Testamente zu häufig geändert werden. 833 taten sich die drei ältesten Kaisersöhne gegen ihren Vater zusammen. Im Juni standen sich bei Colmar die Heere tagelang gegenüber, die Annalen von St. Bertin berichten, dass das Volk, betört durch schändliche Überredungskünste und falsche Versprechungen, den Kaiser verließ. Die Brüder hatten die Schlacht vermieden und einen eleganteren Weg gefunden. Ludwig stand plötzlich ohne Heer und ohne Macht da. Die Verlassung, so der technische Ausdruck, war der Beweis, dass Gott dem Kaiser die Macht entzogen hatte. Ludwig wurde in Haft genommen und offenbar nicht besonders gut behandelt. Federführend war der frühere Ratgeber des Kaisers, der von Ludwig enttäuschte Ebbo von Reims. Thegan schreibt: „Sie sprachen Unerhörtes, sie taten Unerhörtes, sie drangen täglich auf ihn ein.“ Man quälte ihn so lange, bis er sich in Soisson einer öffentlichen Buße unterzog. In Anwesenheit von Klerus, seinem Sohn Lothar und dessen Anhängern warf sich Ludwig vor dem Altar der Marienkirche (genauer vor den Heiligen Sebastian und Medardus, deren Reliquien dort aufbewahrt wurden) auf ein auf dem Boden ausgelegtes Büßergewand, bekannte, gefehlt zu haben und bat um Vergebung. Die Bischöfe übergaben ihm ein schriftliches Verzeichnis seiner Sünden, er verlas den Text, erklärte sich unter Tränen für schuldig (das Weinen war Bestandteil des Bußrituals) und bat um öffentliche Buße. Darauf legte er selbst seine Waffen ab, zog die weltliche Kleidung aus und das Büßerhemd an. Das Ablegen der Waffen war in einer Kriegergesellschaft wie der karolingischen der zentrale Teil. Ludwig hatte sich durch seine Vergehen um die Gnade Gottes gebracht. Ein Herrscher, der nicht mehr in der Gnade Gottes stand, konnte auch keinen Erfolg haben. Das ganze Verfahren diente dazu, Ludwig amtsunfähig zu machen. Er wurde in einen lebenslangen Büßerstand versetzt. Aber offenbar hatte man ihn nicht dazu bringen können, sich das Haar scheren zu lassen und in den Mönchsstand zu treten. Es waren unerhörte Szenen, die das Ansehen der Herrscherfamilie untergruben und überlieferte Normen infrage stellten. Sie sollten sich in dieser Form nicht wiederholen. Bereits in Attigny hatte Ludwig eine öffentliche Buße vollzogen. Doch was für ein Unterschied! Dort sollte sie dazu dienen, Ludwigs Machtbasis zu vergrößern, und entsprach wohl auch seinem Bedürfnis, sich in der Rolle eines christlichen Herrschers zu legitimieren. Hier verlor Ludwig mit seiner Buße seine Macht.

! Buße

Zur Zeit Ludwigs wurde die öffentliche Kirchenbuße nur noch bei schweren öffentlichen Vergehen verhängt. Die Betonung liegt auf Öffentlichkeit, nicht auf Schwere des Vergehens. Prostration (das ausgestreckte Sich-Niederwerfen), Selbstbezichtigung, Bitte um Buße, das war der Ablauf einer öffentlichen Kirchenbuße, die in einer Bischofskirche stattzufinden hatte. Man trat in den Büßerstand, was bedeutete, dass man nicht nur Bußübungen abzuleisten hatte, sondern auch von der Gemeinschaft getrennt wurde (meist wurde der Büßer in eine Klosterzelle eingeschlossen). Die Rekonziliation, die Wiederaufnahme in die Kirche, erfolgte nach geleisteter Buße. Und das konnte dauern, nicht selten lebenslang. Für nicht öffentliche Vergehen hatte sich die Tarifbuße durchgesetzt, das heißt, man bekam für eine Sünde eine bestimmte Buße auferlegt.

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Auszug aus: Heinrich I. - Der beste Freund

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! Die Ungarn

Die Ungarn waren nicht die ersten mit Pfeil und Bogen bewaffneten nomadischen Steppenreiter, die im Westen auftauchten. Vor ihnen hatte es die Awaren und Hunnen gegeben, nach ihnen sollten die Mongolen kommen. Trotz dieser Erfahrungen schienen die Menschen jedes Mal von der Vorgehensweise der schnellen Reiter überrascht und harrten schicksalsergeben der Dinge, die da auf sie zukamen. 862 gab es den ersten Vorstoß der Ungarn gegen das ostfränkische Reich, es kam aber kaum zu nennenswerten militärischen Auseinandersetzungen. Der nächste Zug folgte erst 881, danach kam es immer wieder zu Plünderungen. Arnulf von Kärnten, ostfränkischer König, schloss 892 einen Vertrag mit den Ungarn, der dazu führte, dass bis zum Tod Arnulfs im Jahr 900 hauptsächlich Oberitalien verwüstet wurde. Danach fielen die Ungarn im ganzen ostfränkischen Reich ein und stießen auch weit bis in den Westen vor.

Der Vorteil der Ungarn lag in ihrer Schnelligkeit und Wendigkeit. Es waren kleinere Formationen, die sich möglichst unauffällig bewegten, um dann zuzuschlagen und sich schnell wieder zurückzuziehen. Offene Feldschlachten versuchten sie zu vermeiden, wenn es zu Kampfhandlungen kam, wandten sie den - von den Zeitgenossen fassungslos als äußerst unehrenhaft angesehenen - Trick der vorgetäuschten Flucht an. Das ihnen nachsetzende Heer zerstreute sich und konnte so leichter niedergemacht werden. Dieser Trick scheint ihnen immer wieder gelungen zu sein.

Die Ungarn waren nicht an Landgewinn interessiert, sie wollten nur Beute machen. Die lange Phase des Umbruchs unter den letzten Karolingern und ersten Ottonen bot da ideale Rahmenbedingungen. Leichte und lohnende Beute waren Klöster und Kirchen, deren einziger Schutz meist nur eine versteckte Lage war. Und die Ungarn, obwohl Heiden, wussten gut Bescheid: Sie zertrümmerten die Altäre der Kirchen, um an die wertvollen Reliquienkapseln zu gelangen. Ansonsten lebten sie von Schutzgelderpressung, machten Gefangene, die sie entweder verschleppten und als Sklaven nutzten (ein übliches Verfahren) oder deren Freilassung sie sich bezahlen ließen. Es war ein einträgliches Geschäft und die Verluste dürften sich alles in allem in Grenzen gehalten haben. Manchmal übertrieben es die Ungarn auch: 918 plünderten sie Bremen, ermordeten alle, die in den Bereich ihrer Pfeile kamen und brannten die Gebäude nieder. Die Brände gerieten außer Kontrolle und als die Ungarn über die Weser flüchten wollten, fielen sie in die Hände der aufgebrachten Bevölkerung.

Für die Menschen waren die Ungarn eine fremdartige Bedrohung aus dem Osten, die sie nicht einordnen konnten, häufig werden sie auch einfach als Hunnen oder Awaren bezeichnet, eine gens barbarica, crudelissima, ferocissima, ein barbarisches, äußerst grausames und wildes Volk. Der Abt Ekkehard von St. Gallen nennt sie gar Teufel, blutrünstig und kriegslüstern. Liutprand von Cremona schreibt, die Mütter würden den Säuglingen das Gesicht mit einem scharfen Eisen zerschneiden, damit sie frühzeitig lernten, Schmerzen zu ertragen. Kein Wunder, dass man die Fremden als Strafe Gottes sah, deren Wüten man selbst verschuldet habe.

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Wichtigste Aufgabe eines Königs war die Herstellung und Wahrung des Friedens und das größte „außenpolitische“ Problem waren die Ungarn. 926 verwüsteten sie Sachsen, während Heinrich in seiner Burg Werla saß und sich nicht in eine offene Feldschlacht wagte. Zu seinem Glück (hier haben wir die fortuna) wurde einer der Anführer der Ungarn gefangen genommen. Im Gegenzug für seine Freilassung gestanden die Ungarn Heinrich einen neunjährigen Friedensvertrag zu - natürlich gegen Tributzahlung. Die neun Jahre wollte der König zu Abwehrmaßnahmen nutzen. Auf einem Hoftag in Worms wurde beschlossen, landesweit Fluchtburgen zu errichten. Märkte, Gerichtstage und Gastmähler sollten auch in Friedenszeiten in ihnen abgehalten werden. Die umliegende Bevölkerung wurde zu Bau und Unterhalt verpflichtet. Solche Ansätze hatte es bereits in karolingischer Zeit gegeben, doch scheiterten sie daran, dass Besatzung, Bevorratung und Unterhalt der Burgen nicht sichergestellt werden konnten. Die Verpflichtung zur Abhaltung von Märkten und Gerichtstagen machte die Fluchtburgen zu so etwas wie zentralen Orten für ihre Umgebung.

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Die defensiven Maßnahmen waren das eine, um die Ungarn angreifen zu können, brauchte man jedoch ein trainiertes Reiterheer. Während des Friedensabkommens mit den Ungarn griff Heinrich mehrfach die umgrenzenden slawischen Völker an. Die Ungarn nutzten die slawischen Gebiete auf ihren Raubzügen als Aufmarschgebiet. Die Kriege wurden mit großer Grausamkeit geführt, für die Feinde gab es den ganzen Tag nur Tod und Flucht, schreibt Widukind. Die Gefangenen wurden geköpft, die Kinder ließ man leben, um sie zu versklaven. Die Slawen gerieten in eine lose Abhängigkeit mit der Verpflichtung, Tribute zu zahlen. Weiter gingen die Bestrebungen jedoch nicht. Versuche, die heidnischen Slawen zu christianisieren, wurden eher halbherzig unternommen und Heinrich versuchte auch nicht, die slawischen Stämme in das ostfränkische Reich einzugliedern. Wie so oft ging es um Beute, Lust am Kampf, und - nach Widukind - darum, das Heer für die Ungarnabwehr fit zu machen.

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Mehr lesen? Hier ist der Link: Projekt Zeitlotse, Band 3