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Zum Wohl der Stadt - Juden im mittelalterlichen Speyer (2)

Abgang zum mittelalterlichen Judenbad in Speyer

Nur wenige Schritte vom Dom entfernt lag eines der beiden Speyrer Judenviertel. Man kann die beeindruckenden Überreste der Synagoge und des Ritualbades (Mikwe) besichtigen. Einige Grabsteine, Münzen, Kapitelle und Bodenfliesen werden in dem kleinen Museum SchPIRA (hebräisch für Speyer) gezeigt. Abgang zur Mikwe.

Bischof Rüdiger Huzmann hatte 1084 Juden günstige Bedingungen für eine Ansiedlung geboten - zum Wohl der Stadt. Und die Juden aus den benachbarten Städten nahmen das Angebot an (Teil 1). Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts verdienten die Juden ihr Geld hauptsächlich mit Kreditgeschäften, der Warenhandel spielte nur noch eine untergeordnete Rolle. Das war kein auf Speyer begrenztes Phänomen, mit den Kreuzzügen hatten Christen den Warenhandel zwischen Orient und Okzident übernommen. Juden, die jahrhundertelang  eine Vermittlerrolle zwischen den Kulturräumen eingenommen hatten, waren in dieser Funktion überflüssig geworden. Handwerksberufe waren ihnen verboten, außer zur Eigenversorgung der Gemeinde. Beileibe nicht alle Juden waren reich, doch zu dieser Zeit kann man die Speyrer Gemeinde wohlhabend nennen. Rabbi Kalonymos ben Meir war Berater und Finanzier Kaiser Friedrich Barbarossas und in dessen engster Umgebung zu finden. 

Neuer Stadtherr, neue Belastungen

In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gelang es den Bürgern, den Bischof als Stadtherrn abzulösen. Das ging nicht ohne heftige Auseinandersetzungen ab. Für die Juden bedeutete das weniger Rechtssicherheit und höhere finanzielle Belastungen. Schutzgarantien und die Verbriefung der Rechte waren niemals umsonst zu haben. Die neuen Stadtherren waren nicht judenfeindlich, bei finanziellen Engpässen der Gemeinde sprang die Stadt zweimal mit Krediten ein. Aber die Stadt versuchte auch, Einfluss auf die Besetzung des Selbstverwaltungsorgans der Juden, des sogenannten Judenrates, zu erhalten, erst gegen Zahlung einer hohen Summe gab sie das Vorhaben auf. Reiche Juden schlossen häufig Sondervereinbarungen mit der Stadt. Sie entrichteten eine für sie günstigere Steuerpauschale. Die anderen (ärmeren) Gemeindemitglieder mussten nun einen höheren Beitrag leisten. Denn die Steuerbelastung für die Gesamtgemeinde reduzierte sich dadurch nicht.

Das Speyrer Ritualbad, hebr. Mikwe, wurde um 1120 errichtet. Es ist die älteste Anlage nördlich der Alpen. Mikwe bedeutet soviel wie Sammelplatz für Wasser. Nur lebendiges Wasser (Fluss- oder Quellwasser, Grund- oder Regenwasser) ist für die rituelle Reinigung geeignet. Nach der Vertreibung der Juden wurde das Bad als städtisches Waffenlager benutzt.  Das Wasser liegt rund 10 Meter unter dem heutigen Straßenniveau, zum Badeschacht gelangt man über ein steinernes Treppenhaus. Eine halbrund verlaufende Treppe führt an einem kleinen Umkleideraum vorbei zum eigentlichen Tauchbecken.

Der Schwarze Tod

Ein gravierender Einschnitt, von dem sich die Gemeinde nie mehr richtig erholen sollte, war das Pestpogrom im Januar 1349. Aus Asien war die Pest mit den Schiffen Genueser Kaufleute nach Europa gekommen. Als der Schwarze Tod die Menschen dahinraffte, wurde der Vorwurf laut, Juden hätten die Krankheit durch Vergiftung der Brunnen ausgelöst. In vielen Städten kam es zu Pogromen gegen die Juden (die von der Krankheit genauso betroffen waren wie die Christen). Dabei spielte es gar keine Rolle, ob die Pest bereits ausgebrochen war oder nicht. Die Stimmung war ohnehin aufgeheizt. Für fast jeden ungeklärten Mordfall wurden Juden verantwortlich gemacht, es ging die Legende um, Juden bräuchten Christenblut für rituelle Zwecke. Kaiser Friedrich II. hatte eine Kommission eingesetzt, die klar erklärte, dass solche Verdächtigungen haltlos seien. Das nutzte nur nicht viel. Im Pestpogrom 1349 brachten sich viele Juden selbst um, viele wurden von einem rasenden Mob getötet, einige ließen sich in ihrer Verzweiflung taufen, um dem Morden zu entgehen. Die Synagoge wurde verwüstet, der Friedhof geschändet. Die Getöteten packte man in Weinfässer und ließ sie den Rhein hinuntertreiben, weil man fürchtete die Leichen könnten die Luft verpesten. Die Juden hatten mitten unter Christen gelebt, christliche Dienstboten beschäftigt, mit Christen Geschäfte gemacht. Viel geholfen hatte das nicht. Nach dem Morden setzte der Run auf das jüdische Vermögen ein. Der Tod der jüdischen Geldverleiher war gleichbedeutend mit einer Annullierung der Schulden. Gegen Geld gewährte Kaiser Karl IV. der Stadt eine Amnestie für die an den Juden verübten Verbrechen und er trat auch gleich seine Rechte an den Speyrer Juden an die Stadt ab, die auch die Rechte des Bischofs erwarb. 400 Juden sollen in Speyer den Tod gefunden haben.

Ein Wechselspiel aus Aufnahme und Vertreibung

1352 gestattete die Stadt Juden erneut, sich in der Nähe der alten Synagoge niederzulassen. Das Bleiberecht war zeitlich befristet und musste immer wieder erneuert werden - natürlich gegen Geld. Trotz schlechterer Bedingungen spielten einige Juden wieder eine wichtige Rolle im regionalen Kreditgeschäft. 1358 lebten etwa 100 Juden in der Stadt, das waren geschätzte drei Prozent der Bevölkerung. 1404 geschah das Unerwartete: Eine christliche Magd konvertierte zum Judentum (was verboten war). Der Rat ließ die Juden verhaften, die Konvertitin floh nach Köln. 1405 wurden die Juden ausgewiesen. 1421 wieder aufgenommen, 1435 vertrieben, 1467 wieder aufgenommen. Das ging eine ganze Weile so weiter. Wie in anderen Gemeinden auch waren Juden nicht mehr unentbehrlich für das Kreditgeschäft, Schuldentilgungen und Sondersteuern des Königs hatten ihr Vermögen schmelzen lassen. Für die Stadt war die finanziell ausgeblutete jüdische Gemeinde nur noch ein Unruheherd und Zankapfel. Viel zu holen war hier nicht mehr. Man brauchte sie nicht mehr zum Wohl der Stadt.    

Literatur

Germania Judaica, Bd. II,2. Von 1238 bis Mitte 14. Jahrhundert, Tübingen 1968

Germania Judaica, Bd. III,2. Von 1350 bis 1519, Tübingen 1995

Werner Transier, Speyer: Die jüdische Gemeinde im Mittelalter, in: Europas Juden im Mittelalter. Beiträge des internationalen Symposiums in Speyer vom 20.-25. Oktober 2000, hrsg. von Christoph Cluse, Trier 2004, S. 420 - 432