· 

Die Vertreibung der Augsburger Juden im Jahr 1438 und ihre Vorgeschichte

Augsburger Judenzeichen von 1434, gelber Ring mit einem Durchmesser von 19 cm, im inneren Ring Judenhut abgebildet
Augsburger Judenzeichen, verkleinerte Darstellung aus dem Missivbuch, Originalgröße 19 cm, gelbe Farbe im Original nicht vorhanden. Der im inneren Ring abgebildete Judenhut musste vielleicht zusätzlich von den Männern getragen werden.

Am 7. Juli 1438 beschloss der Rat der Stadt Augsburg, den Juden die Stadt für immer zu verbieten. Man gab ihnen eine Frist von zwei Jahren. Dann sollten sie „ale baide alt und jung, kainer ußgenomen nach hin dun gesetzt hinus faren und kommen on alle Gnad“. Der Grund blieb vage. Die Juden hätten in „vil wege“ gegen Gesetze und Gebote der Stadt verstoßen. So besagen es die Ratsprotokolle. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts war es in den Städten des deutschen Reiches zu einer regelrechten Ausweisungswelle gekommen: 1424 in Köln, 1433 folgte Konstanz, 1435 Zürich, 1437 Heilbronn, 1444 Nürnberg. Nur in wenigen Städten war man allerdings so radikal wie in Augsburg. 400 Jahre siedelten keine Juden mehr in der Stadt, nur in Kriegszeiten erlaubte man ihnen Schutz in ihren Mauern zu suchen. Nach ihrer Ausweisung verliert sich die Spur der Augsburger Juden zum größten Teil.

Die erste Gemeinde

Juden ließen sich erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts in Augsburg nieder. Die Geschichte dieser jüdischen Gemeinde endete in einem Blutbad. 1348 wiegelte der einflussreiche Augsburger Heinrich Portner Stadtbewohner und Auswärtige gegen die Juden auf. Portner war hoch verschuldet bei den jüdischen Geldverleihern. Er nutzte die Angst vor der Pest und die allgemeine Unzufriedenheit für einen etwas dilettantischen Putschversuch gegen den Rat und für eine private Schuldentilgung. Die Juden wurden erschlagen, nur wenige entkamen. Der Rat hatte die Situation rasch unter Kontrolle - unter Opferung der Juden. Vielleicht kam ihm das „Judenschlagen“ gelegen, war die Stadt doch der größte Schuldner der Juden gewesen. 1355 nahm Augsburg wieder Juden auf. Sie lebten weitgehend unter denselben Bedingungen wie vor dem Pogrom.

Die Größe der Gemeinde

Die Größe der jüdischen Gemeinde lässt sich nur schwer feststellen. Der Zeitgenosse Burkhard Zink nennt in seiner Chronik für das Jahr 1438 die Zahl von 300 Juden. Das ist vermutlich übertrieben. 1428 hatte jeder Einwohner, Christ oder Jude, gleich welchen Alters, eine Kopfsteuer zur Bekämpfung der Hussiten abzuführen. In dieser Liste sind 147 Juden eingetragen. Damit gehörte Augsburg gerade noch zu den großen jüdischen Gemeinden des Reiches. Der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung der Stadt lag zwischen ein und zwei Prozent.

Grundbesitz

Es gab zwei Judensiedlungen, eine in bevorzugter zentraler Lage und eine weitere in einem dicht bebauten, kleingewerblichen Siedlungsgebiet. Juden durften unbeschränkt Grundbesitz erwerben, man war da in Augsburg im Vergleich zu anderen Städten großzügig. Eine strikte räumliche Trennung zwischen Christen und Juden gab es nicht. Die Gemeinde hatte eine Synagoge, ein Badehaus, einen Friedhof und ein Tanzhaus. Die Einrichtungen wurden auch von Juden des Umlands genutzt. Nach der Vertreibung der Juden plünderte man den Friedhof und baute aus den Grabsteinen eine Treppe im Rathaus und den Turm für die Sturmglocke. Man dachte in Augsburg sehr wirtschaftlich.

Geschäfte

Die Geldleihe war im Spätmittelalter der Haupterwerbszweig der jüdischen Oberschicht. Adel, Bürger, Klerus nahmen die Dienste jüdischer Kreditgeber in Anspruch. Die Allerärmsten natürlich nicht. Sie waren nicht kreditwürdig. Üblich war die Geldleihe auf Pfand. Die Stadt selbst war der wichtigste Kunde der Augsburger Juden. Seit 1390 gingen die Kreditgeschäfte sowohl vom Umfang als auch von der Höhe der verliehenen Summen dramatisch zurück. Die Juden verloren ihre Schlüsselstellung bei der Versorgung des städtischen Haushalts. Die Stadt hatte sich andere Geldquellen erschlossen. Gleichzeitig sank das reguläre Steueraufkommen der Juden. Sie verfügten wahrscheinlich nicht mehr über ausreichend Kapital. Man hatte sie durch Sondersteuern und Vermögenskonfiskationen von Seiten des Reiches und auch der Stadt finanziell ausgeblutet.

Judenschutz

Alle Juden standen unter dem Schutz des Königs. Damit verbunden waren das Recht der Besteuerung und die Gerichtshoheit. Das Judenschutzrecht der Stadt leitete sich aus einem allgemeinen Schutzanspruch über alle in der Stadt Ansässigen ab und aus der Übertragung von Judenschutzrechten durch den König. Nach der Ermordung der Juden 1348 erhielt die Stadt 1355 von Karl IV. das Privileg, Juden aufzunehmen und nach Belieben zu besteuern. Dieses Privileg war zeitlich begrenzt und wurde immer wieder verlängert. Die Stadt versuchte, andere Gewalten, die Nutzungs- und Schutzrechte an den Juden geltend machen konnten, abzufinden. Denn die Herrscher hatten diese Rechte immer mal wieder verpfändet. Wer welches Nutzungsrecht an den Juden hatte, war recht unübersichtlich. Als die Städte nach der Pogromwelle von 1348 begannen, wieder Juden aufzunehmen, achteten sie auf die exklusive Übertragung dieser Rechte. Die Juden gerieten nun einseitig in die Abhängigkeit der Städte. Das hatte Vor- und Nachteile. Einerseits waren die Städte am Schutz der Juden nun wirklich interessiert, andererseits musste es zu Konflikten führen, wenn der König versuchte, wieder Herrschaftsrechte durchzusetzen. Bis 1373 war das nur eine theoretische Frage.    

Finanzielle Ausbeutung

1373 forderte Karl IV. von Augsburg 37.000 Gulden und von den Augsburger Juden 10.000 Gulden für die Vermittlung des Friedens zwischen den schwäbischen Reichsstädten und benachbarten Adligen. Er brauchte das Geld für den Kauf der Mark Brandenburg von den bayrischen Herzögen. Die Stadt betrachtete das als Bruch des Privilegs, musste aber schließlich durch Inhaftierung aller Juden mithelfen die Summe einzutreiben. Die Empörung war groß. Ein Chronist schrieb, man gab das Geld dem Kaiser zu Unrecht.

1385 erließ König Wenzel die erste sogenannte Judenschuldentilgung. Gegen eine Abschlagszahlung von 40.000 Gulden erlangten die Gläubiger eine Herabsetzung ihrer Schulden. Nutznießer waren die Städte. Alle Städte nahmen ihre Juden zu einem vereinbarten Zeitpunkt gefangen und übernahmen die Schuldbriefe und Pfänder. Der Vertrag mit Wenzel sicherte den Städten die unbeschränkte Nutzung ihrer Juden bis 1388 zu. Ein gutes Geschäft für die Städte. Augsburg erpresste in diesem Jahr 22.000 Gulden von seinen Juden, vermutlich in Zusammenhang mit der Schuldentilgung.

1390 erließ Wenzel eine zweite Judenschuldentilgung. Dieses Mal ließ er sich nicht mit einer Abschlagszahlung abspeisen, sondern verhandelte einzeln mit den Gläubigern. Schlecht für die Augsburger und noch schlechter für die Juden. Die Augsburger wehrten sich. Erst als der König Waren Augsburger Kaufleute auf dem Weg von der Frankfurter Messe beschlagnahmen ließ, kam es 1392 zu einer Einigung. Diese zweite Tilgungsaktion traf die Juden hart.    

Aber es sollte noch schlimmer kommen. Konrad von Weinsberg, der Kämmerer König Sigmunds, ging systematisch daran, die königlichen Kassen zu füllen. Ein Weg war, wieder unbeschränkten Zugriff auf die Judensteuern zu erhalten. 1414 und 1418 wurden Sondersteuern erhoben. Die Städte schalteten sich ein und verhandelten mit dem König. Augsburg finanzierte die Steuer sogar vor, man wollte die Abwicklung in der Hand behalten und nicht den Juden und ihren Mittelsmännern überlassen. Und immer, wenn Geld in die königliche Kasse floss, sicherten sich die Augsburger ein neues Privileg.

1423 forderte Sigmund eine Hussitenkriegssteuer. Die Augsburger verhandelten mehr schlecht als recht am Hof in Ungarn. Der Rat rügte die Unterhändler, sie hätten doch von der Not und Sorge, die den Juden auf dem Hals lag, gewusst. Nur der Tod hätte sie daran hindern dürfen, sich für die Juden einzusetzen.

1428 wurde die Hussitensteuer erhoben.

1431 floss Geld für die Abwehr einer erneuten Schuldentilgung.

1433 sollte für die bevorstehende Kaiserkrönung eine Krönungssteuer von allen Juden erhoben werden. Obwohl das ein Novum war, berief sich der Stab um Konrad von Weinsberg auf althergebrachtes Recht. Wieder schickte der Rat Gesandte um zu verhandeln.

Die Reaktion der Augsburger

Der Rückgriff der Könige auf die städtischen Judengemeinden brachte den Städten nicht nur wirtschaftliche Einbußen, sondern untergrub auch ihren generellen Herrschaftsanspruch über alle Stadtbewohner. Augsburg intervenierte stets nach demselben Muster: Zunächst weigerte sich der Rat unter Verweis auf die verliehenen Privilegien, die man bereits im Vorfeld eifrig gesammelt hatte. Direkte Kontakte von Juden zum Herrscher wurden möglichst unterbunden. Man wollte die Sache in der Hand behalten. Dann schlug der Rat eine Verzögerungstaktik ein, tauschte sich mit anderen Städten aus, versuchte eine Abschlagssumme auszuhandeln. Wurde die Zahlung unumgänglich, dann deklarierte man sie als freiwillig, keinesfalls als Steuer. Und der Rat ließ sich seine Privilegien erneut bestätigen - für die nächste Runde. Die Städte waren in den Verhandlungen mit dem König in der schwächeren Position, da das Objekt der Ausbeutung sich nicht auf eine Seite schlagen konnte. Die Bereitschaft zur Zahlung war immer gegeben. Den Juden blieb gar nichts anderes übrig.

Verschlechterung der Lebensbedingungen und Vertreibung

In der Endphase, in den letzten zehn Jahren, blutete die Gemeinde aus. Es gab kaum Neuzuzüge, obwohl die Stadt diesbezüglich keine Restriktionen ausübte. Diskriminierende Verordnungen nahmen allerdings in dieser Phase zu. Rund 150 Jahre hatten die Regelungen des Stadtrechts unverändert Bestand gehabt. Jetzt änderte sich das. 1425 bestimmte der Rat, dass Juden freitags nicht mehr vor zehn Uhr morgens auf den Märkten einkaufen dürften. Das galt auch für ihre christlichen Bediensteten, überhaupt für jeden, der etwas für einen Juden besorgen wollte. Denunzianten wurden ausdrücklich ermuntert, wer einen Juden anschwärzte, durfte die Hälfte der Geldstrafe behalten. 1434 führte die Stadt ein Judenzeichen ein. Man hatte sich schon zwei Jahre vorher in dieser Sache an König Sigmund gewandt. Die erstaunliche Begründung: Die Juden kleideten sich so ehrbar, dass viele sie für Priester hielten. Es habe schon Beschwerden gegeben. Das nach den Maßstäben der Zeit eher tolerante Augsburg machte in Sachen Judenzeichen den Vorreiter. 1434 gab Sigmund sein Plazet, die Stadt könne selbst festlegen, wie das Zeichen aussehen solle. Der Rat verordnete den Juden das Tragen eines gelben Rings mit einem Durchmesser von 19 cm. Ein gut sichtbares Zeichen. Bis 1436 war das Judengericht, das Klagen von Christen gegen Juden verhandelte, paritätisch mit Christen und Juden besetzt. Jetzt schloss man die Juden aus. Allein die Christen sollten noch Recht sprechen.

Die Sondersteuern und Schuldentilgungen ließ die Gemeinde verarmen. Die Reihen lichteten sich, reiche Juden verließen die Stadt und kleine Geldverleiher verschwanden aus den Steuerbüchern. Es blieb die Mittelschicht und Familien, die schon lange in Augsburg ansässig waren. Man kann es so formulieren: Die Juden machten Arbeit, brachten nur Ärger ein und zahlten nicht einmal mehr anständig Steuern. Außerordentliche Abgaben an die Stadt, die der Rat früher auch schon gerne mal erpresst hatte, waren schon gar nicht mehr aufzubringen. Außerdem brauchte man die Juden als Kreditgeber nicht mehr.

1438 war ein Krisenjahr, schwere Epidemien suchten Augsburg heim, Nahrungsmittel waren knapp. Der Rat war nicht mehr in der Lage oder willens Judenschutz auszuüben. Vor dem Ausweisungsbeschluss holte man gar nicht erst die Erlaubnis des Königs ein (inzwischen war es Albrecht). Und die Juden scheinen sich in ihr Schicksal gefügt zu haben, der Rabbiner Jakob Weil verließ die Stadt noch im selben Jahr. Die übrigen Juden versuchten, Stadt und König finanzielle Zugeständnisse zu machen - vergebens. Der Rat wickelte die Vertreibung emotionslos ab. Der Besitz der Juden wurde nicht, wie in vielen anderen Städten, konfisziert. Nach Ablauf der Frist durften Juden die Stadt nicht mehr betreten, noch zu tätigende Hausverkäufe mussten über Mittelsmänner abgewickelt werden. Der Rat unterstützte die Juden dabei und sah zu, dass alles ordnungsgemäß ablief. Geschäftsmäßig eben.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0