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Im Auge des Betrachters oder was heißt hier schön?

Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Stimmt nicht so ganz. Schönheit liegt eher in dem, was wir kennen. Wir finden attraktiv, was uns vertraut ist. Meint jedenfalls die Hirnforschung. Die Soziologen sagen, Schönheit sei eine kulturelle Definition. Jede Zeit und jeder Kulturkreis habe seine eigenen Vorstellungen von Schönheit. Das, was wir als schön empfinden, hat also nur wenig mit unseren individuellen Vorlieben zu tun, es ist Mainstream, der Geschmack der Masse.

Das weibliche Schönheitsideal des (späteren) Mittelalters war die knabenhafte Frau mit leicht vorgewölbtem Bauch. Für unseren Geschmack gewöhnungsbedürftig, bevorzugen wir doch den in Fitnessstudios gestählten durchtrainierten Körper. Und den Bauch drücken wir notfalls mit formender Unterwäsche weg. Womit ganz nebenbei die These der Soziologen bewiesen wäre. Im frühen Mittelalter war man da ganz konsequent. Interessant war nicht das Besondere, das Individuelle, sondern der Typus. Wie sahen mittelalterliche Herrscher aus? Wir wissen es nicht. Realistische Porträts kamen erst im 14. Jahrhundert auf.

Wie sie den Mantelkragen hochzieht, als suche sie Schutz vor ihrem Ehemann! Und doch ruht sie ganz in sich selbst. Uta von Naumburg gilt vielen als schönste Frau der Kunstgeschichte. Als der unbekannte Naumburger Meister im 13. Jahrhundert ihre Skulptur schuf, war die echte Uta schon 200 Jahre tot. Wobei, ob es sich wirklich um Uta handelt, ist gar nicht sicher. Aber das tut ihrer Schönheit ja keinen Abbruch. Umberto Eco jedenfalls, der vor zwei Jahren verstorbene Schriftsteller, Philosoph und Semiotiker, wäre mir ihr gerne mal schick essen gegangen.

Aus Liebe heiratete im Mittelalter niemand. Die Ehe war eine Arbeits- und Wirtschaftsgemeinschaft. Was nicht heißt, dass das Aussehen keine Rolle bei der Partnerwahl gespielt hätte. Schon der Kirchenvater Isidor von Sevilla beklagte im 6. Jahrhundert den Verfall der Sitten, bei einer Frau achteten die Männer jetzt mehr auf Reichtum als Abstammung, mehr auf eine gute Figur als auf Anstand. Frauen hätten das vermutlich auch gerne getan, mussten aber nehmen, was der Familie als Ehemann opportun erschien - schön oder nicht.

Schönheit war (und ist) nicht weniger als ein Versprechen auf Glück. Wer schön ist, muss auch gut sein und so wurden mittelalterliche Königinnen grundsätzlich als schön beschrieben. (Die Gleichung gilt übrigens auch heute noch in der Hofberichterstattung der Herzblätter.) Über Details äußerten sich die Chronisten nicht, mehr als die Standardfloskeln pulcher (schön) und formosa (gute Figur) erfahren wir kaum. König Childerich erfreute sich an der schönen Gestalt seiner künftigen Frau Basina, Balthild hatte eine gute Figur und einen majestätischen Gang, Gundoberga war schön anzusehen und Brunichild ein reizender Anblick. Heinrich I. verliebte sich gleich zweimal hintereinander in Frauen wegen ihres Reichtums und ihrer Schönheit. Praktisch, dass er die erste ins Kloster abschieben und das Vermögen behalten konnte.

Weibliche Schönheit war eben nicht ungefährlich und konnte Männer, besonders heilige Männer, zu Dummheiten verleiten. Gerald von Aurillac (8. Jh.) war zwar von Adel, aber gesundheitlich angeschlagen. Er führte ein asketisches Leben, enthaltsam und ständig betend. Heimlich ließ er sich sogar eine Tonsur schneiden. Doch selbst dieser fromme Mann war gegen weibliche Reize nicht gefeit. Er bewunderte eine seiner Mägde, den Glanz und die schöne Farbe ihrer Haut. Er bestellte das Mädchen zu sich. Als sie das Haus betrat, war jedoch der Glanz dahin und sie schien Gerald von abschreckender Hässlichkeit. Er schwang sich auf sein Pferd und ritt davon so schnell er konnte. Noch mal Glück gehabt. Gerald war offensichtlich von einem Pfeil Amors getroffen worden. Das lateinische amor sollte man nicht mit Liebe übersetzen, amor war heißes Begehren und flammende Leidenschaft, Gefühle, die ein frommer Christ besser unterdrückte. Mit Hilfe Amors schaffte Fredegunde den Aufstieg von der Magd zur Königin. Sie war die Femme fatale der Merowingerzeit, schön, durchtrieben, ehebrecherisch, sagen jedenfalls die Quellen. Aber man musste schon etwas draufhaben, um sich zwanzig Jahre als Konkubine und Ehefrau eines polygamen Königs zu halten und als angefeindete Witwe dem erst drei Monate alten Sohn die Herrschaft zu sichern. Mit Schönheit allein war das nicht zu machen. Und amor hilft meist nur in jungen Jahren.

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