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Siegel und Bullen

Mit einem Siegel beglaubigte man im Mittelalter schriftliche Rechtshandlungen (Urkunden). Ein Siegelstempel wurde dazu in ein weicheres Material gedrückt, meistens war das Wachs, später Blei (Päpste siegelten immer mit Blei), selten Gold. Das Siegel war in der Regel rund, es wurde entweder unten auf die Urkunde aufgedrückt oder an die Urkunde angehängt. Siegel bildeten den Kopf oder die Figur eines Herrschers als Typus ab, Rückschlüsse auf das reale Aussehen lassen sich daraus nicht ziehen. In einer Umschrift wurden Name und Rang des Siegelinhabers aufgeführt, oft wurde das Siegel auch für eine programmatische Aussage genutzt. Siegel aus Blei oder Gold nennt man Bullen, sie waren von beiden Seiten geprägt.

Ein Siegel war weit mehr als ein Beglaubigungsmittel. Vor tausend Jahren flatterten nicht allabendlich Bilder des Königs beim Hoftag in Magdeburg oder im vertrauten Gespräch mit dem Papst in jedes Wohnzimmer, da war das Siegel eine willkommene PR-Maßnahme. Eine Urkunde enthielt ja in der Regel einen Gunsterweis, eine Schenkung oder ein Privileg, also konnte man den Empfänger per Siegel auch daran erinnern, wem er diese Gunst zu verdanken hatte. Der Empfängerkreis war zwar nur klein, aber es waren die entscheidenden Leute. Einiges spricht dafür, dass die Besiegelung in einem öffentlichen Akt vorgenommen wurde und der Herrscher dann noch eigenhändig sein Monogramm mit dem „Vollziehungsstrich“ vervollständigte.

Siegel Karls des Großen
Siegel Karls des Großen Ø 5cm
Siegel Heinrichs I.
Siegel Heinrichs I. Ø 5cm

Bei den Karolingern sind Siegel nur auf Urkunden des Herrschers zu finden. Bischöfe und vereinzelt auch Herzöge führten erst unter den Ottonen eigene Siegel. Für den Stempel griff man zunächst auf antike Gemmen oder Münzen zurück und nannte in der Umschrift den Herrscher. Karl der Große benutzte für sein Siegel das Bild des römischen Kaisers Antoninus Pius. Dann wurde ein Bildprogramm entwickelt, das den König in Aktion zeigte, als Krieger im Profil oder Halbprofil, mit Schild, Fahnenlanze, Kranz oder Krone.

Der Kaiser braucht ein neues Bild

Kaisersiegel Ottos I.
Kaisersiegel Ottos I. um 965 Ø 6,5 cm
Siegel Ottos II.
Siegel Ottos II. als Alleinherrscher

Mit dem Kaisersiegel Ottos I. entstand dann ein neuer Siegeltyp, der zum Vorbild für alle europäischen Herrschersiegel wurde. Pünktlich zur Kaiserkrönung im Jahr 962 hatte Otto sein neues Siegel parat. Man hatte sich also bereits im Vorfeld Gedanken über das Bildprogramm gemacht. Das fiel in den Zuständigkeitsbereich von Ottos Bruder Brun als Leiter der Kanzlei. (Brun war übrigens einer der ersten Bischöfe, der ein eigenes Siegel führte.) Byzantinische Siegel wurden herangezogen, aber das war nicht das Entscheidende. Man griff auf eine Bildsprache zurück, die bis jetzt dem liturgischen Bereich vorbehalten war, der Abbildung von  Heiligen, ja von Christus selbst: Der Kaiser wandte sich frontal dem Betrachter zu. Das Siegel zeigt Gesicht und Oberkörper, auf kriegerische Attribute wird verzichtet. Statt dessen trägt der Kaiser Krone, ein Zepter in der Rechten und in der Linken einen kreuzgeschmückten Globus. Die Armhaltung mit den nach oben abgewinkelten Unterarmen wird bei allen künftigen Siegeln beibehalten, ebenso wie die Handhaltung: Die Hand greift von außen um das Zepter. Aber das Spannendste ist der - pardon - etwas stiere Blick des Kaisers, diese großen Augen, die den Betrachter direkt ansehen. Im Leben durfte nicht jeder das Antlitz des Kaisers sehen, es war ein Beweis seiner Huld.

Die Siegel wurden größer, obwohl es für den Rechtsakt der Beglaubigung keine Rolle spielte, ob ein Siegel 10 oder 100 mm Durchmesser hatte. Und sie wurden dicker. Man entwickelte ein Verfahren, bei dem der wulstige Rand des Siegels höher blieb, um das Bild besser zu schützen, denn Wachssiegel waren empfindlich, nicht viele haben die Jahrhunderte unbeschadet überstanden.

Der Stellvertreter Christi im Bild

2. Kaisersiegel Ottos III.
2. Kaisersiegel Ottos III. 997 Ø 7,5 cm
Kaisersiegel Ottos III.
3. Kaisersiegel Ottos III., davon sind nur noch 2 erhalten

Otto III. (980 - 1002) verfügte in seinem kurzen Leben über fünf Stempel für Wachssiegel und vier für Bleibullen. Die Königssiegel bewegten sich noch ganz in der ottonischen Tradition. (Das vierjährige Kind wurde als regierender Herrscher mit Spitz- und Schnauzbart abgebildet.) Als Kaiser bevorzugte der letzte Otto ein Ganzkörperbildnis. Zunächst zeigen die Siegel ihn stehend, die Armhaltung wird beibehalten, ebenso wie die „verdrehte“ Handhaltung. Die Arme recken sich noch etwas mehr gen Himmel und es wirkt, als habe der Kaiser Zepter und Globus gerade „von oben“, aus himmlischer Sphäre empfangen. Knapp acht Zentimeter Durchmesser hat dieses Siegel. In der zweiten Siegelvariante steht er auf einem Hügel und der Mantel erscheint wie vom Wind bewegt. Der vom Wind bewegte Mantel wurde in der ottonischen Kunst verwendet, wenn man das Wirken Gottes zeigen wollte. Die Empfänger waren natürlich in der Lage dieses Bildprogramm zu entziffern und seine Bedeutung zu verstehen. Das dritte Kaisersiegel zeigt Otto auf einem kastenförmigen Thron sitzend, er erscheint wie ein thronender Christus. Noch steiler recken sich die Unterarme nach oben. Dahinter steht die Vorstellung vom Herrscher als Stellvertreter Christi. Angefertigt wurde das Siegel, bevor Otto nach Rom aufbrach, um über seine Widersacher ein furchtbares Strafgericht zu halten.

Siegeln wie der Papst - mit Blei

Kaiserbulle Ottos III.
Kaiserbulle Ottos III. Vorderseite Ø 4cm
Kaiserbulle Ottos III. Rückseite
Kaiserbulle Ottos III. Rückseite

Ab 998 siegelte der junge Kaiser nur noch mit Bleibullen. Zum ersten Mal wurden beide Seiten der Bulle mit einem Bild versehen, wie es in Byzanz üblich war. Das Bild auf der einen Seite wirkt fast antik, es ist der Kopf eines jungen Mannes im Profil mit Krone, gelocktem Bart und kurzem gelocktem Haar. Das Auge ist überdimensional groß und tritt etwas basedowartig hervor. Auf der Rückseite ist eine bezopfte Frauenfigur mit Schild und Speer abgebildet. Möglicherweise eine Verkörperung der Roma. Das ist die berühmte Bulle mit der Umschrift Renovatio imperii Romanorum - Erneuerung des Reiches der Römer. Sie hat nur noch einen Durchmesser von vier Zentimetern. Ab 1001 bis zu seinem Tod wird Otto eine andere Bulle benutzen, sie ist halb so groß und entspricht damit der Größe der Papstbullen. Im Gegensatz zur äußerst kunstvoll gearbeiteten Vorgängerin wirkt sie sehr schlicht, abgebildet ist ein kleiner Kopf im Profil mit ein paar Bartstoppeln und der Umschrift Aurea Roma - Goldenes Rom. Auf der Rückseite werden nur Name und Titel des Kaisers genannt: ODDO IMPERATOR ROMANORUM (ergänzt). Die Angleichung an die Papstbullen geschah wohl nicht von ungefähr. Papst Silvester II. und Otto arbeiteten in dieser Zeit eng zusammen. Nicht nur der Nachfolger Petri, auch der Kaiser war von Gott dazu bestimmt, die Christenheit zu lenken.

Kaiserbulle Ottos III. 1001
Neu gestaltete Kaiserbulle Ottos III. 1001 Ø 2cm
Rückseite Kaiserbulle Ottos III.
Rückseite

"Siegel und Bullen" ist ein Vorabdruck aus Band 5 des „Zeitlotsen“:

„Otto III. und Heinrich II. - Visionär und Pragmatiker?“