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Immer zu Diensten - Aus dem Leben eines Aufsteigers (Teil 1)

Ein heftiger Fieberanfall, dann ein viertägiger Todeskampf. Johannes, Abt des Klosters Gorze, hatte keinen leichten Tod. Aber es galt, würdig und gefasst dahinzuscheiden. Ein Abt hatte auch im Sterben eine Vorbildfunktion. Johannes ließ nach Vertrauten schicken. Doch der qualvolle Todeskampf verunsicherte die Anwesenden: ein vollkommener, ein gerechter Mann und doch verschonte Gott ihn nicht. Würde ihr eigener Tod noch schwerer sein? Einer der Anwesenden, der Abt von St. Arnulf, beschloss, das Leben des Verstorbenen aufzuzeichnen, damit über dessen dunkler Herkunft nicht seine Verdienste vergessen würden. Dunkle Herkunft? Welcher Schatten konnte über der Herkunft des Abtes eines so berühmten und mächtigen Klosters wie Gorze liegen? Nun, ein solch hohes Amt war dem verstorbenen Johannes nicht in die Wiege gelegt worden, denn er war nicht mehr und nicht weniger als der Sohn eines unfreien Bauern.

Darstellung von bäuerlichen Arbeiten in zwölf Monatsbildern, Handschrift um 818
Zwölf Monatsbilder mit bäuerlichen Arbeiten, um 818

Johannes stammte nicht aus ärmlichen Verhältnissen. Dass sein Vater unfrei war, sagt nur etwas über dessen rechtlichen Status aus. Außerdem gab es verschiedene Abstufungen von Unfreiheit, die Bandbreite reichte von einem sklavenähnlichen Leben auf dem Herrenhof bis zu einer bescheidenen jährlichen Abgabe an den Grundherrn. Johannes’ Vater bewirtschaftete (wahrscheinlich) einen großen Hof mit seinem eigenen unfreien Gesinde. Er heiratete erst in fortgeschrittenem Alter eine wesentlich jüngere Frau mit einem etwas höheren sozialen Status. Das Paar bekam mindestens drei Söhne, der älteste war Johannes, der um das Jahr 905 geboren wurde. Als Sohn eines unfreien Bauern war Johannes ebenfalls unfrei. Ob, wann und durch wen er später die volle Freiheit erlangte, dazu schweigen die Quellen.    

Ein außergewöhnliches Talent

Der Herr seines Vaters war der einflussreiche Graf Ricuin von Verdun. Johannes fiel schon früh durch eine außerordentliche Begabung auf, die er vermutlich auch einem photographischen Gedächtnis verdankte. Es hieß, er konnte einmal Gelesenes exakt so wiedergeben, als habe er das Buch vor sich liegen. Ricuin förderte den talentierten Sohn seines Bauern, ließ ihn in Metz und später an der Klosterschule von St.-Mihiel an der Maas unterrichten. Die Förderung des Grafen war wohl eher immaterieller Natur, denn der Vater trug die Unterrichtskosten weitgehend selbst. Folgerichtig musste Johannes die Ausbildung abbrechen, als der Vater starb und die Mutter wieder heiratete. Er versorgte die beiden jüngeren Brüder und übernahm die Bewirtschaftung des Hofes. Johannes war ein Organisationstalent mit Hang zum sparsamen Wirtschaften. Ricuin förderte den jungen Mann weiter, übergab ihm die Kirche in seinem Heimatdorf und vermittelte ihn in die Dienste des Bischofs von Verdun. Johannes habe Glück gehabt, meinte der Verfasser seiner Vita gönnerhaft, durch den häufigen Kontakt mit hochgestellten Persönlichkeiten habe er deren Umgangsformen abschauen können. Hilfreich für Aufsteiger.

Sinnsuche

Johannes, der Mann fürs Praktische, begab sich auf Sinnsuche. Er nahm Kontakt mit Menschen auf, die sich einem Leben im Extremen verschrieben hatten. Um ein vollkommenes christliches Leben zu führen, ließ er sich in den lebenslangen Büßerstand versetzen. Das bedeutete: Bußübungen, strenges Fasten, Nachtwachen, ausgedehnte Gebetszeiten, Anlegen eines ciliciums, eines kratzigen Bußgewands, das als Unterkleid auf der bloßen Haut getragen wurde. Ein Leben lang. Zusammen mit Gleichgesinnten probierte er sich aus. Er schloss sich dem Einsiedler Lantbert an, einem tölpelhaften Menschen, vermerkt der Verfasser seiner Vita abschätzig, der keine geregelten Zeiten einhielt, aß, trank und die Messe feierte, wann es ihn ankam. Der Mönch, an einen festen Tagesablauf gewöhnt, war rechtschaffen empört. Menschen, die sich über das gewöhnliche Maß hinaus disziplinieren wollten, waren nur schwer in die kirchliche Hierarchie einzugliedern. Die Kirche war durchaus nicht erfreut über solche Ambitionen, waren sie doch kaum unter Kontrolle zu halten. Extreme Selbstkasteiung führte leicht zu den Todsünden Hochmut und Stolz, schnell konnte man sich als etwas Besseres fühlen. Um der Versuchung zu entgehen, beschloss die Gruppe um Johannes, sich einem Kloster anzuschließen. Das war nicht so einfach. Niemand wollte die Gruppe haben. Trat gleich eine ganze Büßergemeinschaft ins Kloster ein, kamen auf den Abt unruhige Zeiten zu. Wer wollte sich das antun?

Büßerzelle im Kloster Walkenried aus der Zeit um 1180
Büßerzelle im Kloster Walkenried für Mönche, die Verfehlungen begangen hatten. Gemütlich war es dort nicht gerade. Sollte es auch nicht sein.

Übungen in Demut

Da traf es sich gut, dass die ehemals reiche und bedeutende Abtei Gorze inzwischen ziemlich heruntergekommen war. Gerade noch 20 Mönche lebten in den altehrwürdigen Mauern. Der Bischof von Metz, zu dessen Bistum Gorze gehörte, war ein Anhänger drastischer Reformen - und der Stiefsohn des Grafen Ricuin. 933 beauftragte er die Gruppe um Johannes die Abtei wieder auf Vordermann zu bringen. Johannes, Bauernsohn, Gottsucher und Organisationstalent, wurde der Mann fürs Praktische, Verwalter der klösterlichen Güter. Abt wurde Einold, der Senior der Gruppe, aus guter Familie, ein Asket, der bereits mehrere Stationen einer kirchlichen Karriere durchlaufen hatte. Dreißig Jahre übernahm Johannes einen Posten nach dem anderen. Er war zuständig für die Pforte, für die Versorgung von Gästen und Kranken, für den Keller und vieles mehr. Gleich, was man ihm auftrug, er verrichtete den Dienst ohne Murren, übte sich in Demut und Gehorsam, unterstützt vom Abt, der ihn immer wieder schlecht behandelte. In dieser Zeit wurden seine Mitstreiter zu Äbten in Klöstern ernannt, die sich der Gorzer Reform angeschlossen hatten. Johannes blieb in Gorze. Weil er dem Abt unentbehrlich war oder weil Mönche zu dieser Zeit fast immer aus dem Adel kamen?

Nun gehört das hingebungsvolle Erdulden solcher Prüfungen zum üblichen Repertoire einer Heiligenvita. Doch bei Johannes schwingt noch etwas anderes mit. Johannes hatte die Aufgabe, das Kloster wieder auf ein sicheres materielles Fundament zu stellen. Einige seiner Mitbrüder unterstellten ihm dabei Übereifer. Man fand, er übertrieb es etwas mit der sparsamen Lebensführung. Auch die Allerniedrigsten, so heißt es, beschimpften und verleumdeten ihn, nannten ihn einen Heuchler, Geizkragen und Betrüger. Man warf ihm vor, dass er seine verwitwete Mutter mit ihrem Gesinde aufnahm. Sie hatte dem Kloster ihren Besitz übertragen (das war nicht unüblich), lebte nun im äußeren Klosterbereich und fertigte Kleidung für die Mönche an. Ein Haus für arme Frauen habe Johannes aus dem Kloster gemacht. Da schwingen doch Ressentiments bezüglich der Herkunft des tüchtigen Klosterverwalters mit. Besonders der Propst, der Stellvertreter des Abtes, stellte ihn gerne öffentlich bloß, vor allem vor hochrangigen Gästen. Wie es die Regel von ihm verlangte, schwieg Johannes und warf sich nur wieder und wieder in aller Demut zu Boden. Man musste eben auch ungerechte Vorwürfe ertragen als bußfertiger Mönch. Der Propst war ein Mann aus hochadliger Familie, zudem der Onkel und Vertraute des Bischofs. Niemand, mit dem man sich anlegte. Der Verfasser von Johannes’ Vita entschuldigte das Fehlverhalten des Propstes mit dessen hoher Geburt. Bei Erregung brachen die alten Lebensgewohnheiten eben wieder hervor. Darauf konnte sich ein Johannes nicht zurückziehen.

Nächste Woche: Teil 2

Ein Job, den keiner machen will - Johannes in heikler Mission

Literatur: Die Geschichte vom Leben des Johannes, Abt des Klosters Gorze, hrsg. und übersetzt von Peter Christian Jacobsen, Wiesbaden 2016 (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi, Bd. 81)    

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