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Schattenkönige - Die letzten merowingischen Herrscher

Schemenhafte Schatten im Hamburger Elbtunnel als Sinnbild für die merowingischen Schattenkönige
Schattenkönige im Untergrund?

„Dem König blieb nichts anderes übrig, als sich mit seinem Titel zu begnügen und mit wallendem Kopfhaar und ungeschnittenem Bart auf dem Thron zu sitzen und den Herrscher zu spielen.“ Einhard, Berater, Baumeister und Biograf Karls des Großen, zeigte nicht viel Sympathie für die Merowingerkönige. Das ist nicht verwunderlich, hatte doch Pippin, der Vater Karls des Großen, den letzten merowingischen König abgesetzt und sich selbst zum König gemacht. Pippin war der Hausmeier des Königs gewesen, der maior domus, der Mann, der die Fäden in der Hand hielt. Die eigentliche Macht hatte schon lange bei den Hausmeiern gelegen. Die Könige hatten nur noch die Funktion, die Herrschaft der Hausmeier zu legitimieren. Schattenkönige nennt man sie daher, oder auch rois fainéants, Faulenzerkönige.

Kleine Könige unter Vormundschaft

Die Phase des Niedergangs der Merowinger begann mit dem Tod Dagoberts I. im Jahr 639. Auch gekrönten Häuptern war zu dieser Zeit selten ein langes Leben beschieden und so folgte auf Dagobert eine Reihe von Kindkönigen, die unter der Regentschaft ihrer Mütter, Tanten oder Schwiegermütter standen. Das war ein Zufall, hatte aber Folgen. Die reale Macht eines Königs hing von der Unterstützung ab, die er von den einflussreichen Familien seines Reiches bekam. Macht musste erkämpft werden. Da es meist mehrere Anwärter auf den Thron gab, hatten die Großen des Reiches die Option, wem sie sich anschließen wollten. Kindkönige taten sich in einer solchen Situation besonders schwer. Die führenden Clans gewöhnten sich schnell an ein schwaches Königtum. Die Könige wurden zum Werkzeug in der Hand der Großen und Mächtigen. Eine Schlüsselposition nahm der Hausmeier ein, die Besetzung dieses Postens machten die Familien unter sich aus, die Könige hatten das nicht mehr in der Hand. Auf Dagobert folgten bis zu Pippins Usurpation der Königskrone im Jahr 751 maximal 15 Merowingerkönige, drei davon waren Verlegenheitskandidaten zweifelhafter Herkunft, bleiben zwölf und davon waren acht minderjährig. Und die meisten von ihnen starben jung. Auffallend ist, dass es auch bei keinem der erwachsenen Könige eine direkte Erbfolge gab, das heißt, wer König wurde, bestimmte nicht mehr die Königsfamilie selbst. Man kann davon ausgehen, dass der Hausmeier sich einen Thronfolgekandidaten herauspickte, die übrigen Aspiranten schickte man vermutlich in die beliebteste Verwahranstalt dieser Zeit, ins Kloster.

Ein elendes Leben?

Aber die merowingische Dynastie zeigte ein überraschendes Beharrungsvermögen. Der Königshof war immer noch der Ort, an dem das Machtgefüge zwischen den führenden Familien austariert wurde. Die königliche Kanzlei funktionierte nach wie vor, sie stellte Urkunden aus und der König unterzeichnete, wenn auch im 8. Jahrhundert vor allem die Unterstützer der neuen führenden Familie, der Karolinger, begünstigt werden. Und die Karolinger waren es auch, die das Bild einer inkompetenten, nutzlosen, geradezu jämmerlichen Dynastie schufen. Nach Einhard muss das Leben des Königs wahrhaft trostlos gewesen sein. Danach hielt ihn der Hausmeier finanziell an der kurzen Leine, der König lebte mit wenigen Dienern, „die ihm die nötigsten Dienste leisteten“, in einem Wohnhaus auf einem bescheidenen Landgut. Zu öffentlichen Auftritten wurde er in einem Ochsenkarren gefahren, er empfing Gesandte, durfte aber nur den ihm vorgeschriebenen Text sprechen, ob er wollte oder nicht. Patrick Geary, ein amerikanischer Historiker, fühlte sich etwas respektlos an die heutige Queen erinnert. Nun waren seit der Absetzung des letzten Merowingerkönigs allerdings mehr als 50 Jahre vergangen und Einhard hatte wohl auch einiges missverstanden. Das lange Haar und der ungeschnittene Bart, das uns an ungepflegte Zottelkönige denken lässt, waren ein Erkennungszeichen der Merowinger. Ein Merowinger auf dem Thron war nur mit langen Haaren denkbar und mit dem Ochsenwagen reisten in der Spätantike hohe römische Beamte. Wir können also hoffen, dass das Leben bei Hofe doch etwas freudvoller war, als wir es Einhard entnehmen können. 

Wer stark sein will, scheitert

Es gibt inzwischen zaghafte Versuche, die Schattenkönige zu rehabilitieren. Denn im Schatten agierten sie ja eigentlich nicht, im Gegenteil, man brauchte sie für öffentliche Auftritte. Sie repräsentierten und hielten in ihrer Person dieses instabile regnum Francorum, das Reich Franken, zusammen. Childerich II. (662 - 675) und Chilperich II. (715 - 721) gelten als starke Schattenkönige, die versuchten, Herrschaft wirklich auszuüben. Das ging für beide nicht gut aus. Childerich wurde mit seinem ältesten Sohn und seiner schwangeren Ehefrau ermordet. Da war er um die zwanzig Jahre alt. Chilperich war der jüngste Sohn Childerichs, der nach dem Mord an seinen Eltern ins Kloster gesteckt wurde, dort 40 Jahre lebte und als die einander bekämpfenden Adelsparteien einen Merowinger brauchten, (der Verschleiß an Merowingerkönigen war zu dieser Zeit enorm), aus dem Kloster geholt und als König eingesetzt wurde. Manche Historiker meinen, er habe sich sogar persönlich in das Schlachtgetümmel geworfen und nicht nur eine repräsentative Funktion ausgeübt. Doch seine Seite verlor gegen die Karolinger, gegen Karl Martell, den Vater des Usurpators Pippin. Da Karl Martells eigener König gestorben war, ließ er sich Childerich ausliefern und spätestens zu diesem Zeitpunkt war der König wirklich nur noch eine Marionette in den Händen der Karolinger. Aber immerhin erreichte er ein für einen Merowinger ungewöhnlich hohes Alter. Er starb 721 mit 51 Jahren.

 

Zitate nach: Einhard, Vita Karoli Magni. Das Leben Karls des Großen, Übersetzung von Evelyn Scherabon Firchow, Stuttgart 2010, Reclam Verlag, S. 9

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