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Kaiserlicher Klüngel

Gerade nicht in Mainz zu sehen - Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht

Sollte man sich nicht gerade in einem Gebiet mit niedrigen Inzidenzen befinden, was wohl für die meisten von uns zutrifft, sind die Türen der Museen geschlossen. Von all den in jahrelanger Arbeit konzipierten Ausstellungen bleiben dem verhinderten Besucher nur die Kataloge. Was folgt, ist der Versuch, eine Ausstellung zu bewerten, die man nicht gesehen hat. Wie heißt es so schön: "ohne Gewähr" und in der Hoffnung, dass sich die Türen irgendwann wieder öffnen mögen. "Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht" - gerade nicht in Mainz zu sehen.


Adelheidkreuz

Adelheidkreuz Reichenau

Das Reliquienbehältnis wurde im 11. Jahrhundert von Königin Adelheid von Ungarn an die Abtei St. Blasien gestiftet. Das Kreuz ist stattliche 85 Zentimeter hoch und 64 Zentimeter breit, geschmückt mit 24 antiken Gemmen, drei Skarabäen und 147 Edel- und Halbedelsteinen. Anlass für die Stiftung war die Bestattung von Adelheids Mutter in der Abtei. Das kostbare Kreuz sollte vielleicht auch ihrem Vater Rudolf, von 1077 bis 1080 Gegenkönig zu Kaiser Heinrich IV., als Ersatz für die Reichsinsignien dienen, die ihm ja nicht zur Verfügung standen. Aber das ist Spekulation. © Gerfried Sitar, Benediktinerstift S. Paul im Lavanttal

Kaiser Otto der Große wollte vor seiner byzantinischen Schwiegertochter Theophanu ein bisschen angeben. Beweisen, dass man auch jenseits der Alpen, im unwirtlichen Norden, etwas von verfeinerter Lebensart verstand. Die Heiratsurkunde für das junge Mädchen sollte etwas ganz Besonderes sein. Bei der Ausgestaltung orientierte man sich an den begehrten byzantinischen Seidenstoffen und schuf ein wirklich außergewöhnliches Kunstwerk mit einer beeindruckenden Länge von einem Meter und 44 Zentimetern. Dafür wurden drei Pergamentstücke aneinander geklebt und mit Jagdszenen in imperialem Purpur bemalt. Na ja, fast, denn Purpurschnecken waren nördlich der Alpen auch für Otto den Großen nicht zu bekommen. Also mogelte man ein bisschen und griff auf Mennige, Krapp und Indigo zurück, um den Purpureffekt zu erreichen. Über den Inhalt des Schriftstücks konnte sich Theophanu nicht beklagen. Zur Eheschließung erhielt sie fünf Königshöfe, eine Abtei und etliche andere Ländereien zur Nutzung auf Lebenszeit. Dass die Braut nicht wie erwartet eine „Purpurgeborene“, eine Kaisertochter, war, sondern „nur“ die Nichte eines Kaisers, übersah man am ottonischen Hof geflissentlich. Normalerweise wird die Heiratsurkunde der Theophanu in Wolfenbüttel aufbewahrt, zur Zeit liegt sie im Mainzer Landesmuseum als eines von 300 Exponaten der Landesausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht“. Nur - sehen kann man sie gerade nicht. Bis auf weiteres. Pandemiebedingt.

Konsens-Kultur

Codex Manesse Heinrich VI.

Die Große Heidelberger Liederhandschrift: Codex Manesse

Die berühmteste deutsche Liederhandschrift war nur sechs Wochen in Mainz zu sehen. Jetzt liegt dort ein Faksimile, das Original befindet sich schon wieder in Heidelberg. Nur alle 15 bis 20 Jahre verlässt die Handschrift Heidelberg, möglich, dass sie überhaupt nicht mehr öffentlich ausgestellt wird. Zu empfindlich sind die Farben, zu astronomisch die Versicherungssumme, in Mainz sollen es 80 Millionen Euro gewesen sein. Das Blatt zeigt Kaiser Heinrich VI. in vollem Ornat als thronenden Herrscher. Heinrich, der mit seinen Gegnern nicht gerade zimperlich umsprang, dichtete selbst, zu dieser Zeit eine durchaus angemessene Freizeitbeschäftigung für einen Herrscher. © Universitätsbibliothek Heidelberg

Thema der Ausstellung sind kaiserliche Netzwerke von der Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahr 800 bis zum Staufer Friedrich Barbarossa. Macht, das würde die Ausstellung anschaulich zeigen, wenn sie denn könnte, musste immer wieder neu ausgehandelt werden (vom Grundsatz her hat sich daran bis heute nichts geändert). Die Akteure, die den Kaiser an der Macht hielten, waren zunächst die geistlichen und weltlichen Großen, Bischöfe, Äbte, Herzöge, Grafen, später auch die Städte. Die wiederum durch die Nähe zum Kaiser nicht nur einen materiellen, sondern auch einen immateriellen Gewinn verbuchen konnten, mehr Prestige, mehr Ehre - ein nicht zu unterschätzender Wert im Mittelalter. Der Großteil der Bevölkerung war allerdings nicht viel mehr als Manövriermasse, nur die oberen zehn Prozent durften sich zu denen zählen, die überhaupt des Netzwerkens für würdig befunden wurden. Die wichtigste Aufgabe des Herrschers war es, die unterschiedlichen Interessen zusammenzubringen. Das Mittelalter war - man glaubt es kaum - konsensbesessen. Der Herrscher sollte idealerweise als Teamplayer auftreten. Heute wird die Fähigkeit zu versöhnen unterschiedlich beurteilt. Joe Biden trug sie ins Präsidentenamt, während die Deutschen, glaubt man den Meinungsumfragen, eher auf den Typ „brachialer Macher“ bajuwarischer, pardon fränkischer, Provenienz setzen. Der Gegenpart Armin Laschet, dem nachgesagt wird, mit allen gut zu können, hat interessanterweise ein Faible für Karl den Großen, wobei ausgerechnet dessen Fähigkeiten als Teamplayer eher unterentwickelt waren.

Armreliquiar Karls des Großen

Armreliquiar Karls des Großen

1165 betrieb Kaiser Friedrich Barbarossa die Heiligsprechung Karls des Großen. Die Sache hatte allerdings einen Haken, denn Karl wurde von einem Gegenpapst zur Ehre der Altäre erhoben. Damit war die Heiligsprechung kirchenrechtlich nicht gültig. Der Verehrung Karls tat das keinen Abbruch. Das Kästchen wurde für einen Armknochen Karls angefertigt, der bei der Umbettung seiner Gebeine 1165 entnommen wurde. Zwei der Bildfelder zeigten Friedrich Barbarossa und seine Frau Beatrix. Der Kasten wird heute im Louvre in Paris aufbewahrt. © bpk/RMN-Grand Palais/Daniel Arnaudet

500 gewichtige Seiten

Zur Zeit bleibt einem nur der schwergewichtige Ausstellungskatalog, drei Kilogramm bringt er auf die Waage. Mit 48 Euro ist er auch nicht gerade ein Schnäppchen. Lohnt sich das? Immerhin hat man dann ein dickleibiges Coffee Table Book und eindrucksvolles Zeugnis der Zugehörigkeit zum Bildungsbürgertum auf dem Wohnzimmertisch. Allein das Gewicht spricht gegen unbeschwertes Schmökern auf dem Sofa. Eher ein Band zu Blättern. Man kann grob zwei Arten von Ausstellungskatalogen unterscheiden, die prachtvollen Bildbände, die ganz auf den überwältigenden Prunk der Ausstellungsstücke setzen und die eher textorientierten Bände, in denen Spezialisten sich seitenlang über Keramikbruchstücke der Abfallhalde einer Siedlung am Rande der Zivilisation auslassen. Dieser Katalog beschreitet einen Mittelweg. Vertreten sind die altgedienten Spezialisten mittelalterlicher Kaisergeschichte, allen voran der wissenschaftliche Leiter der Ausstellung, Bernd Schneidmüller, Seniorprofessor in Heidelberg und der Mann für so gut wie alle großen Mittelalter-Ausstellungen im deutschsprachigen Raum. Entsprechend fundiert sind die einführenden Texte in das doch weite Feld jahrhundertelanger kaiserlicher Klüngelei. Allerdings bleiben sie, wie auch die Ausstellung selbst, an der Oberfläche. Nichts Neues für Experten, aber das muss ja auch nicht sein. Und die Bilder sind auch schön.

Kasel des Mainzer Erzbischofs Willigis

Willigiskasel

Die Kasel (casula = Häuschen) ist das wichtigste liturgische Gewand des Geistlichen bei der Messfeier. Erzbischof Willigis von Mainz (975 - 1011), war einer der engsten Verbündeten der ottonischen Kaiser, sicherte dem unmündigen Otto III. nach dem frühen Tod seines Vaters die Herrschaft und verhalf 1002 Heinrich II. aus der bayerischen Seitenlinie der Ottonen handstreichartig auf den langersehnten Thron, indem er ihn kurz entschlossen im Mainzer Dom salbte und krönte. Das kostbare Seidengewebe für die Kasel entstand im vorderasiatischen Raum, vermutlich kam es über die ottonische Kaiserfamilie, in deren Umfeld sich solche Stoffe nachweisen lassen, an Willigis. Nach einer spätmittelalterlichen Inschrift wurde die Kasel bei der um 1300 vorgenommenen Öffnung des Willigis-Grabes gefunden. Viele Jahrhunderte lang galt die Kasel als Berührungsreliquie. © Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz, Foto: Marcel Schawe

Zur Ausstellung

Die Ausstellungsmacher haben sich etwas einfallen lassen, damit die jahrelange Vorarbeit nicht ganz umsonst war. Man kann sich ein Booklet mit den Ausstellungstexten herunterladen, ebenso den Audioguide. Zu den bedeutendsten Exponaten gibt es virtuelle Kurzführungen. Wer will, kann sich mit Hilfe einer App und/oder Broschüre auf Entdeckungsreise zu den rheinländischen Stätten des Mittelalters begeben. Manches davon lässt sich sogar in Pandemiezeiten besichtigen. (kulturerbeunterwegs) Und die Ausstellung selbst wurde bis zum 12. Juni verlängert. Vielleicht klappt es ja noch mal.

 

Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht. Von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa

Landesmuseum Mainz 

Mehr unter: www.kaiser2020.de