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Balthild - (mehr als) fromm und fruchtbar (2)

Was bisher geschah (Teil 1): Balthild war als junge Frau mit dem neustrischen König verheiratet worden. Nach dessen frühem Tod im Jahr 657 übernahm sie die Regentschaft für den ältesten ihrer drei Söhne. Ihren jüngsten Sohn konnte sie auf den Thron des benachbarten Austrien setzen, allerdings musste sie die Vorherrschaft des austrischen Adels akzeptieren. Die Frage, inwieweit Balthild Politik selbst gestaltete, lässt sich nicht mehr beantworten. Mancher sah sie als boshafte Bischofsmörderin, andere als unschuldiges Opfer höfischer Intrigen. Im Lauf der Jahrhunderte setzte sich letztere Ansicht durch. 

Die fromme Freundin der Klöster

Chlodwig II. im Kloster St. Denis. Buchmalerei aus dem 15. Jahrhundert. Grandes Chroniques de France
Chlodwig II., der früh verstorbene Gatte Balthilds erteilt dem Kloster St. Denis Privilegien. Chlodwig wurde, wie seine Eltern, auch hier bestattet. Aus Grandes Chroniques de France, um 1455

Balthilds frommer Ruf beruht auf ihrer Klosterpolitik. Sie gründete zwei bedeutende Klöster, das Frauenkloster Chelles und das Männerkloster Corbie. Klöster unterstanden eigentlich dem zuständigen Ortsbischof. Von der Königin verliehene Privilegien schränkten die Verfügungsgewalt der Bischöfe drastisch ein, das galt nicht nur für die beiden Neugründungen, sondern für alle wichtigen Kultstätten des Reiches. Außerdem drängte Balthild auf eine Vereinheitlichung der Klosterregeln. Als Gegenleistung verlangte die Königin beständiges Gebet für die Königsfamilie und das Reich. Und sie betätigte sich als eifrige Reliquiensammlerin. Balthild habe, schrieb die Historikerin Janet Nelson, eine ganze Armee von Heiligen für das Reich mobilisiert. Die Gnade Gottes zu erlangen, betrachtete man als unabdingbar für das Funktionieren des Reiches. Hinter Balthilds Klosterpolitik steckte also weit mehr als persönliche Frömmigkeit. Vermutlich waren die meisten der betroffenen Bischöfe nicht begeistert über die Beschneidung ihres Einflusses und ihrer Einnahmen und vermutlich bedurfte es sanften Drucks, um ihre Zustimmung zu erhalten. Gut möglich, dass sich die Königin damit einige Feinde machte. Aber auch das ist keineswegs sicher. Beweislücken sind leider ein Problem des frühen Mittelalters.    

Ein unfreiwilliger Rückzug

Detail des leinen Überwurfs der heiligen Balthild. Die Stickerei soll Schmuck darstellen
Detail der Gewandreliquie Balthilds. Eine aufwendige Stickerei imitiert den prächtigen, christlich konnotierten Schmuck, der einer Königin zustand. Chelles, Musée Municipal

Glaubt man ihrer Vita, so war es schon immer Balthilds sehnlichster Wunsch, in das von ihr gegründete Kloster Chelles einzutreten. Dieser Wunsch wurde ihr von den Großen verweigert, weil sie so sehr geliebt wurde. Ich würde sagen, die allgemeine Lebenserfahrung spricht gegen diese Aussage. 664 oder 665 wurde der Königin ihr Wunsch dann erfüllt. Vorangegangen war eine Rebellion, bei der Bischof Sigobrand von Paris eine tragende Rolle spielte. Er wurde, so heißt es, gegen Balthilds Willen ermordet. Da man fürchtete, die Königin könnte sich für den Tod des Bischofs rächen, erlaubte man ihr, sich sofort ins Kloster zurückzuziehen und damit von der politischen Bildfläche zu verschwinden. Außerdem war Balthilds Sohn (vermutlich) mündig geworden, man brauchte keine Regentin mehr. Ganz freiwillig war der Rückzug in den heiligen Ruhestand wohl nicht, denn selbst Balthilds Vita, die sie ganz als fromme, dem Dienst an Gott ergebene Nonne schildert, erwähnt, dass die ins Kloster Abgeschobene anfangs einen unchristlichen Groll gegen ihre Widersacher hegte. Balthild lebte als einfache Nonne noch 15 Jahre im Kloster. Sie starb 680 mit etwa 45 Jahren. Die frühere Königin habe, so heißt es, die niedrigsten Arbeiten übernommen, wie das Reinigen der Latrinen, auch das ein beliebter Topos, man muss das nicht wörtlich nehmen. In aller Demut forderte sie die Äbtissin auf, Kontakt zum Königshof zu halten und auch mal das ein oder andere Geschenk zu schicken. Das klingt nicht unbedingt nach einer Frau, die sich von allem Weltlichen zurückgezogen hatte. Einen Überwurf Balthilds, den sie (vielleicht) zu festlichen Anlässen im Kloster getragen hatte und der ihr mit ins Grab gegeben wurde, entdeckte man im Jahr 1898 in einem Reliquienkästchen. Er ist verziert mit einer feinen Stickerei, die Schmuck imitieren soll. Angeblich hatte Balthilds verstorbener Vertrauter Eligius sie im Traum aufgefordert, ihren Schmuck abzulegen. Doch so ganz schmucklos wollte sich die frühere Königin wohl doch nicht präsentieren. Außerdem fand man eine Haarsträhne (die wurden als Reliquie an befreundete Klöster verschenkt) und stellte fest, dass Balthild ihre ursprünglich blonden Haare im Alter rotblond färbte. Das spricht für eine Frau, die Wert auf ihr Äußeres legte, sich ihres Ranges bewusst war und ihn auch nach außen zur Schau stellte - in aller Demut versteht sich.

Eine Frau, die weiß, was sie will

Balthild am Totenbett des heiligen Eligius, Gemälde von Jean Senelle 1648
Balthild in Gewändern des 17. Jahrhunderts am Totenbett des heiligen Eligius. Im Jahr 1648 gemalt von Jean Senelle. Kathedrale Saint-Etienne de Meaux

Die Königin hatte sich schon immer auf den effektvollen Auftritt verstanden. Glaubt man der Vita des Eligius, war Balthild eine überaus tatkräftige und einfallsreiche Frau. Um das Jahr 660 war Eligius - berühmter Goldschmied, königlicher Berater und Bischof von Noyon - gestorben. Bereits zu Lebzeiten galt er als heiliger Mann, sein Leichnam war somit eine Kostbarkeit. Balthild eilte mit ihren Kindern und großem Gefolge nach Noyon und warf sich in Tränen aufgelöst über den aufgebahrten Leichnam. Der Zweck war klar: Die Königin erhob Anspruch auf den Toten, die wertvolle Reliquie, die sie in ihre Klostergründung Chelles überführen lassen wollte und das mit vollem Körpereinsatz. Leider war Eligius anderer Meinung, die er dadurch zum Ausdruck brachte, dass sich die Bahre nicht von der Stelle bewegen ließ. Balthild war keine Frau, die schnell aufgab. Sie ordnete ein dreitägiges Fasten an, um den Heiligen umzustimmen - Staatstrauer auf merowingisch. Doch der Heilige wollte immer noch nicht. Man war der Ansicht, dass der Heilige selbst bestimmte, an welchem Ort er verehrt werden wollte. Ließen sich die Überreste bewegen, war er damit einverstanden umzuziehen, wenn nicht, dann nicht. Eine sehr pragmatische Einstellung. Nun wird es etwas gruselig: Balthild begann, den Leichnam zu küssen, ja, sie leckte sogar Hände und Brust des Toten ab (nach Scheibelreiter, Barbarische Gesellschaft). Unglaubwürdig? Nun, die Menschen taten einiges, um an Reliquien zu kommen. Da biss man schon mal ein Fingerknöchelchen ab oder dachte sogar daran, sich an noch Lebenden zu vergreifen. Eligius zeigte ob soviel Engagements Erbarmen und begann aus der Nase zu bluten, was umso erstaunlicher war, als die Leiche aufgrund der niedrigen Temperaturen tiefgefroren war. Balthild zückte schnell ein Taschentuch um das Blut aufzufangen und war so wenigstens im Besitz einer - minderen - Reliquie. Nur die Bahre ließ sich immer noch nicht bewegen, obwohl die Königin selbst die Ärmel aufkrempelte und Hand anlegte. Sie musste sich ihrem alten Vertrauten geschlagen geben. Immerhin hatte sie das Taschentuch. 

Die Heilige

833 wurde Balthilds Gebeine in Anwesenheit Kaiser Ludwigs des Frommen (seine Schwiegermutter war die Äbtissin von Chelles) in die neue Klosterkirche überführt. Spätestens dann begann die Verehrung der Klostergründerin. Aus der Reliquienjägerin war selbst eine Reliquie geworden. 

Die Söhne

Balthilds Söhne nahmen kein glückliches Ende. Ihr Ältester (Chlothar III.) starb bereits 673 in seinen frühen Zwanzigern. Der nach Austrien verheiratete jüngste Sohn (Childerich II.) wurde daraufhin Herrscher des Gesamtreiches, jedoch bereits zwei Jahre später ermordet, mit ihm seine schwangere Frau und sein fünfjähriger Sohn. Er wurde etwa 19 Jahre alt. Den mittleren Sohn (Theuderich III.) holte man aus dem Kloster, in das man ihn zwischenzeitlich eingewiesen hatte, und machte ihn zum König von Neustrien. Er wurde zum Spielball der Machtkämpfe der Hausmeier und starb um 691 als weitgehend machtlose Marionette eines natürlichen Todes. 

Zu Teil 1 geht es hier.  

Als Nächstes: Heia ho! Fredegunde

In zwei Wochen geht es weiter mit den merowingischen Königinnen. Thema wird Fredegunde sein, deren Schicksal und das ihrer Rivalin Niederschlag im Nibelungenlied fand. Geboten wird viel: Magie, Gattinnenmord, Frömmigkeit, abgrundtiefer Hass und eine stabile Zweierbeziehung. Namenstechnisch wird es allerdings komplizierter. Aber ich versuche mein Bestes!

Zum Weiterlesen

Martina Hartmann, Die Königin im frühen Mittelalter, Stuttgart 2009

Königinnen der Merowinger. Adelsgräber aus den Kirchen von Köln, Saint-Denis, Chelles und Frankfurt am Main, hrsg. von Egon Wamers und Patrick Périn, Regensburg 2012

Paul Fouracre und Richard A. Gerberding, Late Merovingian France. History and Hagiography 640-720, Manchester 1996

Georg Scheibelreiter, Barbarische Gesellschaft: Mentalitätsgeschichte der europäischen Achsenzeit. 5.-8. Jahrhundert, Darmstadt 1999

Janet Nelson, Queens als Jezebels: The Careers of Brunhild and Balthild in Merovingian History, in: Medieval Women, hrsg. von Derek Baker, Oxford 1978, S. 31-77