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Her mit dem süßen Leben!

Honig, Zuckerrohr und Runkelrübe

Glückszucker

Der erste Zucker kam um das Jahr 1000 aus dem Orient über Venedig nach Mitteleuropa. Man verwendete den teuren Stoff sparsam, streute lediglich ein paar Krümelchen über die eintönigen Speisen. Hauptsächlich war Zucker ein Allheilmittel gegen die unterschiedlichsten Wehwehchen von Husten bis Durchfall. Zur Desinfektion wurde Zucker in offene Wunden gerieben oder eine Zuckerlösung in entzündete Augen geträufelt, was beides nicht angenehm gewesen sein kann. Man nutzte die antibakterielle Wirkung des Zuckers (wir kennen das vom Marmeladekochen) gegen den üblen Wundgeruch und zur Konservierung exotischer Drogen. Für die Süße im Leben war über viele Jahrhunderte allein der Honig zuständig, der allerdings nur in begrenzter Menge zur Verfügung stand. (Außer man war etwas Besonderes wie Alexander der Große, dann wurde der Leichnam zum Transport schon mal in Honiglösung konserviert.)    

Von Asien über Europa in die Neue Welt

Zuckerrohr auf Madeira
In kleinen Mengen wird Zuckerrohr noch heute auf Madeira angepflanzt und verarbeitet

Im 6. Jahrhundert n.Chr. verbreitete sich der Anbau von Zuckerrohr von Indien in den arabischen Raum. Zucker wurde in Indien schon sehr lange hergestellt und als exklusives (und teures) Medikament nach China und Persien ausgeführt. Er diente vor allem als Stärkungsmittel. Um 760 führten die Araber den Zuckerrohranbau in Spanien und um 960 auf Sizilien ein. Von dort gelangte er schließlich nach Venedig und weiter in das christliche Abendland. Als Naschwerk wird Zucker zuerst 1205 im „Parzival“ Wolfram von Eschenbachs erwähnt: Selbst den Teufel würden die Frauen wie Zucker verzehren, wäre er ein solcher Held wie Parzivals Vater. Im 15. Jahrhundert begannen die Kastilier auf den gerade eroberten Kanarischen Inseln Zuckerrohr anzubauen. Zum Zentrum des portugiesischen Zuckerrohranbaus wurde für einige Zeit das entfernte Madeira. Zucker aus Madeira kam sogar bei der englischen High Society auf den Tisch. Die Mengen waren überschaubar, doch der Bedarf an Süßem war noch nicht so hoch. Von den Kanaren nahm Christoph Kolumbus 1493 auf seiner zweiten Reise Zuckerrohrpflanzen mit in die Neue Welt.

In der Karibik wurde Zucker zum Massenprodukt. Voraussetzung war der Anbau von Zuckerrohr in großen Plantagenbetrieben. Für die schwere Arbeit holten die Europäer Millionen afrikanische Sklaven auf ihre Zuckerrohrfelder. Die bis zu fünf Zentimeter dicken und bis zu fünf Meter langen Stangen mussten mühsam mit einer Machete abgetrennt werden. Aus den Kolonien kam in der Regel Rohzucker nach Europa, der hier weiter veredelt wurde. Mit dem Anbau in den Kolonien fielen die Preise, Zucker wurde von der Medizin zu einem Genussmittel, aber noch fand er seinen Weg nur in die Haushalte Adliger und reicher Bürger. Die bitteren kolonialen Heißgetränke Kaffee, Tee und Kakao wurden durch den süßen Stoff schmackhafter. Extrem süße Desserts, wahre Zuckerbomben, ganze Figuren aus Zucker schmückten die Tafeln gekrönter Häupter. Die Demonstration von Luxus war auch eine Demonstration von Macht.

Der Aufstieg der Rübe

Rüben

Es sollte noch eine Weile dauern, bis Zucker zum alltäglichen Nahrungsmittel für die Massen wurde. Beteiligt daran waren eine unscheinbare Rübe, ein Chemiker und Napoleon. Die Einfuhr des teuren Zuckers belastete die Handelsbilanz der Länder ohne Kolonien. 1747 entdeckte ein Berliner Chemiker, dass auch eine gewöhnliche Futterrübe Zucker enthält. Sein Schüler entwickelte eine Methode der Zuckergewinnung aus Rüben. Der Zuckergehalt der Rüben lag bei etwa sechs Prozent, da brauchte es schon eine Menge bis etwas Zuckersaft herausgepresst war. Am 11. Januar 1799 wurde dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. die erste Probe Rübenzucker überreicht. Wirtschaftlich interessant wurde die Zuckerproduktion aus der Rübe erst, als Napoleon 1806 Kontinentaleuropa vom Handel mit England abschnitt und damit auch vom Zuckernachschub. Da niemand mehr auf Süßes verzichten wollte, investierte man in Deutschland, Russland, Österreich und Frankreich in den Zuckerrübenanbau. Es entstanden Hunderte von meist sehr kleinen Zuckerfabriken. Als die Kontinentalsperre 1813 aufgehoben wurde, bedeutete das für die meisten das Ende. Nur Frankreich setzte weiter auf die Zuckerrübe und schützte die einheimische Produktion durch hohe Zölle auf den Importzucker aus den Kolonien. Es gelang, den Zuckeranteil der Rübe zu erhöhen, heute liegt er bei um die 20 Prozent (und offenbar ist ohne den Einsatz von Gentechnik nicht mehr drin). Die Zuckerproduktion wurde auch für andere europäische Länder wieder interessant. 1899 lag der Anteil von europäischem Rübenzucker an der Weltproduktion bei rund 65 Prozent. Führender Zuckerexporteur war das Deutsche Reich. Heute deckt wieder Zucker aus Zuckerrohr 80 Prozent des Weltmarkts ab.

Das Frühstück der Leistungsgesellschaft

Wird Zucker heute geradezu verteufelt, war er für viele Menschen des 18. und 19. Jahrhunderts ein Segen. Der übliche Brei wurde schmackhafter und zu einer Zeit, als die meisten Menschen nicht genug zu essen hatten, war Zucker ein schneller Energielieferant, um die schwere körperliche Arbeit bewältigen zu können. Bei englischen Bauern (in Großbritannien war Zucker zuerst auch für breitere Bevölkerungsschichten verfügbar), war es offenbar üblich, Zucker nicht beim Kochen des Breis zuzugeben, sondern man streute ihn demonstrativ darüber und machte dadurch aus einer Bauern- eine Herrenspeise (zumindest fast). Die englische Arbeiterschaft ernährte sich von Brot  mit Sirup und gesüßtem Tee. Es dauerte nicht mehr lange, dann etablierte sich das noch heute übliche schnelle Frühstück: ein Marmeladenbrot und Tee oder Kaffee. Schnell verfügbare Energie und Koffein als gesellschaftlich akzeptierter Start in den Arbeitstag. Wer wollte heute noch den Tag mit einer Biersuppe beginnen?

Literatur

Genussmittel. Ein kulturgeschichtliches Handbuch, hrsg. von Thomas Henggartner und Christoph Maria Merki, Frankfurt/New York 1999 (Campus Verlag)

Andreas Unger, Von Algebra bis Zucker. Arabische Wörter im Deutschen, Stuttgart 2013 (Reclam): Eintrag Zucker, S. 295 - 300