Die Royal Academy of Arts feiert den nackten Körper
In der Londoner Royal Academy of Arts lässt die Renaissance die Hüllen fallen. Die geschundenen Körper christlicher Märtyrer, eine üppige Venus, ein koketter Heiliger, Pin-ups in privaten Andachtsbüchern - alles dreht sich um den nackten Körper. Erotisch aufgeladen fanden britische Rezensenten die gut besuchte Ausstellung. Nun ja, auf dem Kontinent ist man vielleicht weniger leicht erregbar.
Ein wahrhaft ungewöhnlicher Heiliger und vielleicht das Highlight der Londoner Ausstellung. Der heilige Sebastian war ein beliebtes Motiv. Naheliegend, weil er der Schutzheilige gegen die immer wieder grassierende Pest war. Der Legende nach war Sebastian Soldat und gehörte zur Leibwache Kaiser Diokletians. Weil er sich zum Christentum bekannte, ließ Diokletian ihn von numidischen Bogenschützen mit Pfeilen beschießen, bis er aussah wie ein Stachelschwein. Sebastian überlebte die Marter, wurde von der heiligen Irene gesund gepflegt, nur damit Diokletian ihn später erschlagen lassen konnte. Dieser Sebastian mit seinen femininen Zügen hat jedoch so gar nichts Leidendes an sich, er blickt auch nicht gen Himmel, sondern kokett zur Seite und erinnert mehr an Cupido als an einen christlichen Märtyrer. Möglicherweise handelt es sich um das Porträt eines jugendlichen Liebhabers des Auftraggebers.
Irgendetwas war da gründlich schief gelaufen. Die Mönche von San Marco in Florenz hatten zur frommen Erbauung ihrer Gemeindemitglieder bei ihrem Ordensbruder Fra Bortolomeo ein Gemälde des heiligen Sebastian geordert, doch dann mussten sie von den weiblichen Gläubigen in der Beichte hören, der nur mit einem durchsichtigen Schleier bedeckte Heilige wecke in ihnen unzüchtige Gedanken. Schließlich versteckten die Mönche das Gemälde in ihrem Kapitelhaus vor der Öffentlichkeit, um es dann zu einem Spottpreis zu verkaufen. Ja, ein kaum bekleideter Körper kann durchaus aufwühlend wirken. Wer will, kann das noch bis zum 2. Juni in der Londoner Royal Academy of Arts nachvollziehen. „The Renaissance Nude“ zeigt spärlich bis gar nicht bekleidete Körper des 15. Jahrhunderts in durchaus aufreizenden Posen. Der Rezensent von „Time Out“ riet den Besuchern danach zu einer kalten Dusche.
Ein anderer Sebastian, der in seinem Martyrium schon sehr entrückt wirkt, auch wenn die Marter hier nur sehr dezent angedeutet wird. Seine physische (androgyne) Schönheit unterstreicht seine Tapferkeit und seine Glaubensfestigkeit. Ein perfektes Inneres manifestiert sich in einem perfekten Äußeren. Sebastian wurde häufig mit Apollon gleichgesetzt, der auch Gott der Bogenschützen war und mit seinen Pfeilen im Trojanischen Krieg die Pest in das Lager der Griechen schickte.
Keine idealisierten Körper, im Mittelpunkt steht die Darstellung körperlicher Leiden, die eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Erlösung spielten. Die Szene mit den verrenkten Körpern mutet uns bizarr an. In der Anfangszeit des Christentums war ein qualvoller Tod sogar Voraussetzung um zur Ehre der Altäre erhoben zu werden. Die 10.000 Märtyrer waren Soldaten in Hadrians Armee, die sich zum Christentum bekehrten. Nach der Legende wurden sie gefoltert, unter anderem indem man sie in eine Dornenhecke stürzte. Der König von Persien (rechts), überwacht auf Bitten Hadrians Folter und Hinrichtung. Die Legende war in der Schweiz und in Deutschland ausgesprochen populär.
Auch wenn sich in den dunkel ausgeleuchteten Ausstellungsräumen der Royal Academy unzählige kaum verhüllte Körper tummeln, so war doch die Darstellung nackter Körper in der Renaissance keineswegs unumstritten. Vollkommene Nacktheit war meist nur für die Augen einer kleinen Elite gedacht. Und bei aller Vorliebe für Antikes blieben christliche Themen weiterhin dominant. Nackte Menschen wurden auch schon im Mittelalter abgebildet, es waren Darstellungen zerfallender Körper als Zeichen der Hinfälligkeit und Vergänglichkeit. Schließlich galt es, den Leib als Gefängnis der Seele zu überwinden. Im 15. Jahrhundert entdeckte man den selbstbewussten Nackten beziehungsweise die selbstbewusste Nackte. Wobei in der Regel immer Männer Modell standen, für Frauen schickte sich das nicht. In Italien waren weibliche Modelle erst ab 1470 üblich, überhaupt bevorzugte man in Italien den männlichen Akt. In einer Zeit, in der es strikte Kleiderordnungen gab und Kleidung dazu diente, soziale Unterschiede zu zeigen, hatte Nacktheit eine Bedeutung, die für uns heute nicht mehr in allen Facetten nachvollziehbar ist. Ob die Darstellungen in den Zeitgenossen die gleichen Empfindungen weckten wie in einem heutigen Betrachter, ist schwer zu beurteilen.
Wir sehen einen athletischen und nicht wie üblich einen ausgemergelten Christus, einen Mann, von dem wir heute sagen würden, dass er regelmäßig ein Fitnessstudio frequentiert. Gossart zeigt uns Christus entkleidet vor der Geißelung. Er blickt den Betrachter an, die Kopfhaltung in der Tradition der Melancholie, der ganze Körper ist angespannt. Ein athletischer Mann und ein verzweifelter.
Zum Abschluss: So stellt man sich ein Renaissancegemälde vor. Keine gequälten Märtyrer, sondern eine üppige Göttin. Die schaumgeborene Venus entsteigt dem Meer und wringt sich das Haar aus. Das ist doch erotisch!