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Die große Ernüchterung

Eine Kulturgeschichte des Kaffees


Früher war mehr Bier - Bier am Morgen, am Mittag und am Abend. Dann eroberte der Kaffee Europa und machte die Menschen wacher und nüchterner - jedenfalls die, die es sich leisten konnten. Endlich ein Genussmittel, das perfekt zum Arbeitsethos der aufstrebenden Schicht des Bürgertums passte.

Geröstete Kaffeebohnen

Honoré de Balzac (1799-1850) war Schriftsteller, Frauenheld, Pleitier und exzessiver Kaffeetrinker. Bis zu 50 Tassen des rabenschwarzen Gebräus soll er pro Tag getrunken haben. Oder besser pro Nacht, denn Balzac schrieb sein 70bändiges Riesenepos „Comédie humaine“ bevorzugt nachts im Kerzenschein, bekleidet mit einer Mönchskutte. Nicht selten arbeitete er 18 Stunden durch. Die Mönchskutte mag geholfen haben, doch ein solches Arbeitspensum war nur mit Hilfe des großen Ernüchterers und Anregers Kaffee zu bewältigen. Allerdings trug das von Balzac so geschätzte Heißgetränk wohl auch zu dessen frühem Tod bei.

Ziegen - die ersten Coffeeholics

Tönerne Kaffeekanne aus Jemen
Kaffeekanne Jemen, Ton, © Trustees of the British Museum

78 Prozent der Deutschen trinken täglich Kaffee, die meisten belassen es bei zwei bis drei Tassen, eine Minderheit trinkt mehr als fünf pro Tag, doch die wenigsten werden mit Balzac konkurrieren können. Die stärksten Kaffeetrinker findet man im Norden Europas. Unangefochtene Rekordhalter sind die Finnen und Niederländer mit 8,8 Kilogramm im Jahr, die Deutschen bringen es auf gerade mal 4,8 Kilogramm (Quelle: Stuttgarter Zeitung vom 19.10.2019, S. 62). Die Ursprünge des Kaffeegenusses liegen im Dunkeln. Der Legende nach entdeckte ein Ziegenhirte die anregende Wirkung des Kaffees. Nachdem sie von den Beeren des Kaffeestrauches gefressen hatten, drehten seine Ziegen ordentlich auf und fanden auch in der Nacht keinen Schlaf. Vermutlich kam man tatsächlich über die Beobachtung von Tieren dem in den Samen des Kaffeestrauches enthaltenen Koffein auf die Spur. Der wilde Kaffeestrauch stammt ursprünglich aus dem heutigen Äthiopien, verbreitete sich dann über den Jemen im gesamten arabischen Raum. Hauptanbaugebiet blieb der Jemen. Die medizinische Wirkung der Frucht des Kaffeestrauches ist schon seit mehr als 1000 Jahren bekannt, vielleicht wurde auch schon früh ein Sud aus den Beeren zubereitet. Doch erst im Jahr 1420 wird über einen Sud aus gerösteten Kaffeebohnen berichtet. Die gerösteten Bohnen waren nicht nur haltbarer, sondern auch verträglicher und milder im Geschmack.

Kaffeehäuser als gefährliche Orte

Vor dem 15. Jahrhundert war Kaffee auch in der arabischen Welt kein weit verbreitetes Getränk. 1454 erlaubte man den Derwischen den Genuss von Kaffee, um sie für die nächtlichen Gebete wachzuhalten. Der in Europa als Türkentrank bezeichnete Kaffee kam erst 100 Jahre später in die Türkei. Zwei Kaffeehändler aus Damaskus und Aleppo eröffneten 1554 die ersten öffentlichen Kaffeehäuser in Istanbul. Kaffeehäuser wurden immer wieder verboten, zum einen wegen der Brandgefahr durch die Holzkohlebecken der Kaffeesieder, zum anderen weil die Kaffeehäuser von der Obrigkeit als Orte politischer Diskussionen nicht gerne gesehen wurden. Legendär war die Genussfeindlichkeit und das Misstrauen Sultans Murad IV., der 1635 alle Kaffeehäuser schließen ließ, Tabak und Wein verbot und persönlich durch die nächtlichen Straßen Istanbuls streifte um die Einhaltung des Verbots zu überprüfen und die Strafe dann auch gleich an Ort und Stelle exekutiert haben soll.

Kein Genuss ohne Zucker

Mitte des 17. Jahrhunderts eroberte eine Trias neuartiger Getränke Europa: Kaffee aus Arabien, Tee aus China und Schokolade aus der Neuen Welt. Anfangs war der Geschmack für europäische Gaumen gewöhnungsbedürftig. Für Lieselotte von der Pfalz schmeckte Tee wie Heu und Mist, Kaffee wie Ruß und von Schokolade bekam sie Magenschmerzen. Sie bevorzugte eine gute deutsche Biersuppe und war damit am französischen Hof vermutlich ziemlich allein. Die Europäer waren nicht an heiße Getränke gewöhnt, man warnte vor schweren Verbrennungen und fürchtete, die Hitze könne das Leben verkürzen. Kaffee wurde in Europa nicht anders zubereitet als im Jemen. Die gerösteten und zerkleinerten Bohnen wurden als Aufguss zubereitet und mit Gewürzen und Zucker verfeinert. Überhaupt ließen sich die Europäer erst durch die Zugabe von Zucker für die bitteren exotischen Getränke begeistern. Dann jedoch wurden sie schnell süchtig danach.

Kaffeetasse mit Untertasse. Die Untertasse ist als Schale ausgearbeitet. Das Dekor besteht aus einer Hafenszene.

Kaffeetasse mit Untertasse, Deutschland, spätes 18. Jahrhundert. Damit man sich nicht die Finger verbrannte, bekamen die Kaffeetassen Henkel, was in den Ursprungsländern des Kaffees nicht üblich war. Um den Kaffee abzukühlen, goss man ihn in die schalenförmige Untertasse und schlürfte ihn dann auch daraus. Außerdem blieb so der Kaffeesatz in der Tasse. © Victoria & Albert Museum London

Ein bürgerliches Getränk

Bild Kaffeetrinkerin, gießt Kaffee in die Untertasse, um ihn abzukühlen
Kaffeetrinkerin 1774, Louis-Marin Bonnet (1743-1793)

Die wachmachenden Eigenschaften des Kaffees waren wie geschaffen für das aufstrebende Bürgertum. Bauern, Handwerker, Gehilfen nahmen zum Frühstück eine Biersuppe zu sich oder ein dünnes Bier mit Getreidebrei. Bier, Brot und Brei waren die Hauptnahrungsmittel der breiten Bevölkerung. Im 17. Jahrhundert lag der Verbrauch an Bier pro Kopf und Tag bei drei Litern. Das entspricht dem Zehnfachen des heutigen Bierkonsums und ist natürlich nur eine grobe Schätzung. Auf jeden Fall bewegten sich vor 300 Jahren nicht wenige Menschen stets leicht benebelt durch den Tag. Langfristig sollte sich Kaffee als der große Ernüchterer erweisen. Man empfahl ihn den geistig Arbeitenden, den Kaufleuten und den Angestellten, die geschäftig ins Bureau eilten. Kaffee wurde den Phlegmatischen und Dickleibigen ans Herz gelegt, Dünne sollten sich seiner besser enthalten. Auch riet man zölibatären Geistlichen, reichlich von der „schwarzen Suppe“ zu trinken, denn sie rege den Geist an und dämpfe die fleischlichen Begierden. Übrigens im Gegensatz zur Schokolade, der eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt wurde. Aber Schokolade war ja auch ein Getränk unzivilisierter „Wilder“, während Kaffee zwar aus exotischen, aber doch vertrauteren Gefilden kam.

Nur in der Öffentlichkeit

Das Innere eines Französischen Kaffeehauses
Französisches Kaffeehaus, © Trustees of the British Museum

In der Anfangszeit war Kaffee ein öffentliches Getränk. Man trank seinen Kaffee nicht zu Hause, sondern im Kaffeehaus. Fast 100 Jahre dauerte es, bis dem ersten Kaffeehaus in Istanbul 1645 ein Kaffeehaus in Venedig folgte, doch dann ging es Schlag auf Schlag: 1650 Oxford, 1652 London, 1663 Amsterdam, 1671 Marseille. Häufig wurden diese Kaffeehäuser von Einwanderern aus dem türkisch-arabischen Raum betrieben. Ausgeschenkt wurde nicht nur Kaffee, sondern auch Alkohol und Schokolade. Kaffee wurde ausdrücklich empfohlen, um die Wirkungen des Alkoholgenusses einzudämmen. Der Marinestaatssekretär und eifrige Tagebuchschreiber Samuel Pepys besuchte das Kaffeehaus nach abendlichen Zechgelagen, um wieder nüchtern zu werden. Oder man bestellte sich gleich einen Kaffee zum Branntwein oder Punsch. In England und den Niederlanden setzten sich Kaffeehäuser am schnellsten durch. Um 1700 (bevor die Engländer begannen Tee zu trinken) soll es allein in London mehr als 400 Kaffeehäuser gegeben haben. Vor allem Schriftsteller, Gelehrte und Geschäftsleute frequentierten die neuen Etablissements. Frauen war der Zutritt nicht immer gestattet, ohnehin schickte es sich für eine Dame mit gutem Leumund nicht, einen solchen Ort zu betreten. In das Kaffeehaus ging man eigentlich nicht um des Kaffees willen, Kaffeehäuser waren nichts anderes als Nachrichtenbörsen für Geschäftliches und simplen Klatsch und Tratsch. Edward Lloyd machte daraus ein Geschäftsmodell. 1687/88 eröffnete er das Lloyd’s Coffeehouse, das zum Treffpunkt für alle wurde, die mit der Schifffahrt zu tun hatten. Hier suchten Schiffer Geldgeber, die ihre Fahrten gegen alle möglichen Risiken absicherten. Edward Lloyd bot seinen Kunden einen besonderen Service: Er gab dreimal pro Woche ein Informationsblatt mit Schiffsnachrichten aus aller Welt heraus. Die Gewinne daraus überstiegen bald die Gewinne aus dem Kaffeeausschank. Im Lauf des 18. Jahrhunderts wurde aus Lloyd’s Coffeehouse ein Versicherungsunternehmen.

Marke eine Kaffeehauses. Die Vorderseite zeigt den Kopf eines Türken
Marke eines Londoner Kaffeehauses, Kupfer, 1669. Vorderseite: Kopf eines Türken (viele Kaffeehäuser hießen Turk’s Head), Rückseite: Hand, die Kaffee in eine Tasse schenkt, © Trustees of the British Museum

Zichorie für die Deutschen

Kaffeekanne Meißen
Kaffeekanne Meißen, um 1740, dekoriert mit einer Hafenszene und elegant gekleideten Figuren. Bis 1740 dominierten chinesische Dekore das europäische Porzellan oder vielmehr das, was man sich in Europa darunter vorstellte. © Victoria & Albert Museum London

In Deutschland entwickelte sich keine blühende Kaffeehauskultur. Bis Ende des 17. Jahrhunderts wurde Kaffee ausschließlich aus dem Jemen über die Hafenstadt Mocha bezogen. Die Nachfrage übertraf die Produktion bei weitem, so dass die Preise explodierten. 1718 begannen die Niederländer Kaffee auf ihren ostindischen Besitzungen zu kultivieren, die Setzlinge hatten sie aus dem Jemen herausgeschmuggelt. 1723 machten es ihnen die Franzosen auf den Antillen nach und 1728 folgten die Briten mit Kaffeeanbau auf Jamaika. Die Qualität konnte mit den arabischen Kaffees nicht mithalten, doch die Preise sanken deutlich, auch weil afrikanische Sklaven auf den Plantagen schuften mussten. Um 1800 konnten sich auch Handwerker und Diener mal eine Tasse Kaffee leisten. Feinere Kreise blieben beim edleren, doppelt so teuren Mokka. Deutschland, das keine Kolonien hatte, musste seinen ganzen Kaffeebedarf einführen. Um das Geld im Land zu halten und die Einnahmen für die Staatskasse zu erhöhen, erklärte man Kaffee kurzerhand zum undeutschen Getränk und erhob hohe Zölle auf Rohkaffee. Natürlich blühte der Kaffeeschmuggel. Friedrich der Große hielt Kaffee ohnehin für ungesund, jedenfalls für die niederen Stände, und befand die altbekannte Biersuppe als zuträglicher. Nach einem Dekret von 1781 wurden limitierte Brennscheine gegen Bezahlung ausgegeben. Nur der Inhaber eines solchen Brennscheines durfte eine festgelegte Menge Kaffee rösten. Der König bezahlte 400 Invaliden als sogenannte Kaffeeschnüffler oder Kaffeeriecher, die durch die Straßen Berlins patrouillierten, immer auf der Suche nach dem Geruch illegal gebrannter Bohnen. Und man versuchte, die Leute mit einem Ersatz zu beglücken, dem Muckefuck oder Malzkaffee. Man bediente sich dabei vor allem der Wurzel der Zichorienpflanze, einer alten Arzneipflanze, die getrocknet, geröstet und zerstoßen wurde. Bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts war Zichorienkaffee noch weit verbreitet, aus finanziellen und gesundheitlichen Gründen.

Getrunken wird zu Hause

Frau, die eine Tasse Kaffee zum Mund führt.
Zum Kaffeekränzchen wird das gute Geschirr herausgeholt.

Erst um 1900 wurde Kaffee zum Alltagsgetränk aller Schichten. Der Durchbruch vollzog sich nicht im öffentlichen Bereich, in der geschäftigen Geselligkeit des Kaffeehauses, sondern in der häuslichen Sphäre, beim Frühstück und Nachmittagskaffee. Es dauerte nicht mehr lange, dann etablierte sich das noch heute übliche schnell zubereitete Frühstück der Leistungsgesellschaft: ein Marmeladenbrot und eine Tasse Kaffee. Schnell verfügbare Energie als gesellschaftlich akzeptierter Start in den Arbeitstag. Das Frühstück der Leistungsgesellschaft. Die Verlagerung in den häuslichen Bereich hatte auch eine Übertragung des Kaffeegenusses von der männlichen in die weibliche Sphäre zur Folge. Zur Gegenwelt des Kaffeehauses der Männer wird das Kaffeekränzchen der Frauen. Und zu seiner Karikatur. Aber bitte mit Sahne!

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Zum Nach- und Weiterlesen

Wolfgang Schivelbusch, Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genußmittel. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1990

Annerose Menninger, Genuss im kulturellen Wandel. Tabak, Kaffee, Tee und Schokolade in Europa (16.-19. Jahrhundert. 2. Auflage Stuttgart 2008

Frank Trentmann, Herrschaft der Dinge: Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute, 2. Auflage Stuttgart 2017