· 

Multikulti am äußersten Rand der Welt - Mehr von Haithabu (2)

Als Bischof Rimbert irgendwann Ende des 9. Jahrhunderts den Handelsplatz Haithabu besuchte, war er schockiert. Er sah in Ketten gelegte Sklaven. Das allein hätte ihn vermutlich nicht schockiert, doch diese Sklaven waren Christen in der Gewalt von Heiden. Um des Bischofs Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, begann eine Frau laut Psalmen zu singen. Und siehe da, es handelte sich um eine Nonne. Da betete Rimbert weinend zu Gott, die Kette am Hals der Nonne fiel ab, doch die Heiden waren Spielverderber und wollten sie partout nicht gehen lassen. Erst als Rimbert sein Pferd zum Tausch anbot, übergaben sie ihm die Frau. Der Bischof schenkte ihr die Freiheit. So wird es in der Lebensgeschichte Rimberts erzählt. Christliche Gefangene freizukaufen gehörte zum ureigensten Aufgabenbereich frommer Männer. Auch Rimberts Vorgänger Ansgar soll auf dem Marktplatz von Haithabu einen christlichen Sklaven von seinen Fesseln befreit und gegen ein Pferd getauscht haben. Haithabu war offensichtlich der rechte Ort für solches Tun, denn die Handels“metropole“ an der Schlei war einer der größten Sklavenumschlagplätze Nordeuropas.

Menschenhandel

Mit der „Ware“ Mensch ließ sich am meisten Profit machen. Feilgeboten wurden Kriegsgefangene und Menschen, die Räubern oder Piraten in die Hände gefallen waren und das Lösegeld nicht aufbringen konnten. Wichtigster Abnehmer war das islamische Spanien, doch Sklaverei war in ganz Europa verbreitet. Die meisten Sklaven kamen aus den riesigen Räumen Osteuropas. Die slawischen Gebiete boten ein fast unerschöpfliches Reservoir. Außerdem lieferte der Osten vor allem heidnische Sklaven, ein großer Vorteil, denn christliche Sklaven durften nach Kirchenrecht nicht in die Hand von Heiden geraten, also nicht jüdischen Händlern übergeben und erst recht nicht in islamische Gebiete verkauft werden. Prinzipiell hatte die Kirche nichts gegen den Sklavenhandel. Sie war nur in zwei Punkten strikt: keine Christen in heidnische Hand und kein Sex mit Sklaven. Nicht, dass man sich immer daran gehalten hätte.    

Distelbrosche Wikingerzeit

Der wohlhabende Wikinger befestigte mit so einer Brosche aus Silber seinen ledernen oder wollenen Umhang. Die Nadel zeigte dabei nach oben über die Schulter. Vermutlich wurden diese offenen Broschen zuerst in Irland verwendet. Die Skandinavier übernahmen die Form und entwickelten sie weiter. Vor allem machten sie die Broschen größer. Solche Befestigungsnadeln hatten die imposante Größe von 30 Zentimetern. Man nennt sie auch Distelbroschen, weil die kugelförmigen Endstücke an Disteln erinnern.

Das schöne Stück kann im British Museum in London bewundert werden. 

Immer an der Küste lang

Im frühen Mittelalter waren die Straßenverhältnisse miserabel. Wer schnell und (relativ) bequem vorwärts kommen wollte, nutzte die Wasserwege. Der Weg über das Meer war nicht ungefährlich. Gesegelt wurde tagsüber, möglichst in Küstennähe und im Konvoi. Handelsschiffe waren leichte Beute für Piraten. Der Schutz der Handelsrouten war eine herrscherliche Aufgabe, doch das funktionierte mehr schlecht als recht. Auf große Fahrt ging es sowieso nur im Sommer, im Winter ruhte der Handel. Haithabu deckte vor allem den Ostseehandel ab. Enge Verbindungen gab es zu Ribe in Westjütland und Birka in Schweden, Handelsplätze, die ähnlich organisiert waren wie Haithabu. Von England bis Russland, vom Rheinland bis Norwegen spannte sich das Fernhandelsnetz mit Anlaufstationen für die Händler.

Vom Pelz bis zum Mühlstein

Stockfisch Island
Getrockneter Fisch
Bernstein
Das Gold des Nordens: Bernstein

Der Osten lieferte nicht nur Sklaven, auch an Pelzen, dem „todbringenden Gift der Prunksucht“ wie ein Mann der Kirche schimpfte, Bernstein, Honig und Wachs ließ sich gut verdienen. Aus dem Rheinland kamen Keramik und Waffen, Speckstein und Eisenerz aus Skandinavien, Quecksilber und Zinn aus England. Gefriergetrockneter Dorsch wurde von den 2.500 Kilometer entfernten Lofoten geliefert. Man hat die Gräten in den Abfallgruben Haithabus gefunden. Ein weiteres begehrtes Handelsgut waren Mühlsteine aus der Eifel. Die Steine aus poröser Basaltlava hatten bereits die Römer geschätzt. Sie wurden für Handmühlen verwendet. Ein solcher Mühlstein hielt fünf bis sieben Jahre. Es war ein Massenprodukt. Allein im Hafenbecken von Haithabu hat man bis jetzt 1.160 Kilogramm abgenutzte Mühlsteine gefunden.

Die Ware wird versilbert

Hacksilber Wikingerzeit
Hacksilber um 905, Teil eines Armbands, 6,5 g, © Trustees of the British Museum

 

Als Zahlungsmittel nutzten die Wikinger gehacktes Silber. Man nennt das Gewichtsgeldwirtschaft. Schmuck oder Münzen aus Silber wurden abgewogen und entsprechend zerkleinert. Das wichtigste Instrument eines Händlers war folglich die Waage. Gewichte waren nicht überregional genormt, da kam es mehr auf das subjektive Empfinden an. (Die Marktaufsicht hatte im Streitfall Prüfgewichte zur Hand.) Münzen wurden in Haithabu auch geprägt, aber Hacksilber war einfach praktischer. Münzen dominierten erst seit dem 11. Jahrhundert. Natürlich wurde auch getauscht, wie es bereits Bischof Rimbert praktiziert hatte: Pferd gegen Nonne.

Literatur:

Birgit Maixner: Haithabu. Fernhandelszentrum zwischen den Welten. Begleitband zur Ausstellung im Wikinger Museum Haithabu, Schleswig, 2. Auflage 2012

In Haithabu kam Lofoten-Dorsch auf den Tisch. Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

 

Nächste Woche:

Über Haithabu gibt es anscheinend mehr zu sagen, als ich dachte. Es folgt noch ein dritter Teil, in dem es um das Zusammenleben von Heiden und Christen geht.

 

Hier geht es zum ersten Teil: Der Handelsplatz Haithabu (1)

und zum dritten Teil: Glaubensfragen (3)